Die mediale Präsenz der digitalen Evolution ist seit circa eineinhalb Jahren gewaltig. Teilweise werden die Möglichkeiten des kommenden „Maschinenzeitalters“ ziemlich überschätzt, siehe dazu „Medialer Hype um digitale Evolution„. Daher vermeide ich den populären Begriff digitale Revolution.

Leider löst die momentane Berichterstattung über die digitale Evolution bei den meisten Menschen negative Gefühle aus. Mit Schlagzeilen wie „Die Jobkiller kommen“ wird der Fortschritt der Digitalisierung als Bedrohung der eigenen Lebensgrundlage wiedergegeben. Kommuniziert wird, dass die digitale Maschine uns die Arbeit wegnimmt; stattdessen kann sie uns von der Arbeit befreien.

Mehr Freizeit dafür weniger Stress

Viele Erwerbstätige optimieren ihren Job danach, sich für ihr Unternehmen unentbehrlich zu machen. Leider oftmals im negativen Sinn, gerade in mittleren und grossen Unternehmen generiert dies riesige Bürokratien die sich und andere mit unproduktivem und unnötigem Zeugs beschäftigen. Dies ist der Produktivität hinderlich und produziert oftmals unnötigen Stress und stiehlt den Menschen wertvolle Zeit.

Viele Menschen leiden heute unter ständiger Erreichbarkeit und Überstunden. Angestellte erledigen noch nach Feierabend geschäftliche E-Mails oder sind in den Ferien erreichbar. In Europa gelingt den Menschen den Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben immer weniger.

Instandhaltung mit Wellness-Wochenende und Sabbatical

Der Instandhaltungspflicht an der eigenen Seele und Körper wird an einem verlängerten Wochenende in einer Wellness-Oase genüge getan. Wer es sich leisten kann, gönnt sich ein mehrmonatiges Sabbatical. Wobei es für viele ein unbezahlter Urlaub bedeutet. Jedenfalls entwickelt sich das Sabbatical zu einem Trend:

Google Trends Sabbatical
Quelle: Google Trens – Sabbatical

Nach einem mehrmonatigen unbezahlten Urlaub könnte einem die alte Tretmühle schneller wieder vereinnahmen als erhofft. Nach der Auszeit ist die Bürokratie und der Alltag wahrscheinlich derselbe und damit die „getankte Energie“ gefährdet.

Schweizer sind fleissig und nicht sehr produktiv

Ich bin grundsätzlich der Meinung, je weniger Zeitaufwand desto produktiver insbesondere für sehr kopflastige oder körperlich anstrengende Arbeiten. Natürlich sollte dabei je nach Persönlichkeit und Tätigkeit ein bestimmtes Minimum an Arbeitsstunden nicht unterschritten werden. Wenig tangiert von dieser Aussage sind Aktivitäten, bei denen die Maschine das Arbeitstempo vorgibt oder für durchorganisierte Tätigkeiten.

Die Schweiz platziert sich in vielen Ranglisten von ökonomischen Vergleichen der Volkswirtschaften in den obersten Rängen. Jedoch fällt sie bei der Arbeitsproduktivität zurück. Diese berechnet sich nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) geteilt durch die geleisteten Erwerbsarbeitsstunden.

Arbeitsproduktivität 1970-2014
Quelle: Strukturberichterstattung Nr. 54/1 des SECO

Die Schweiz hat im Vergleich zu vielen andern Ländern eine hohe Erwerbsquote. Ein Teil dieser niedrigen Arbeitsproduktivität lässt sich womöglich mit der hohen Erwerbsquote erklären. Der schweizerische Arbeitsmarkt beschäftigt Menschen, die möglicherweise in anderen Ländern arbeitslos wären. Der weitaus grössere Anteil an der mittelmässigen Arbeitsproduktivität verschuldet der inländische Dienstleistungssektor, dieser ist nicht der internationalen Konkurrenz ausgesetzt. Kommt hinzu, dass in der Schweiz zunehmend Erwerbsstellen in den wenig produktiven jedoch beschäftigungsintensiven Branchen wie Gesundheits- und Bildungswesen entstehen. Offensichtlich lässt sich der allgemeine Wohlstand einer Nation nicht an der Arbeitsproduktivität ablesen, andernfalls würden uns beispielsweise Frankreich und Belgien übertreffen.

Arbeitsproduktivität in Prozenten 1970 - 2014
Quelle: Strukturberichterstattung Nr. 54/1 des SECO

Automatisierung ist ein Segen und kein Fluch

Wir sollten alles automatisieren, was sinnvollerweise automatisiert werden kann. Dabei muss der Informationssicherheit weitaus mehr Beachtung geschenkt werden als in der Vergangenheit.


Quelle: SRF, ECO vom 9.11.2015 mit Rolf Pfeifer – «ECO Spezial»: Wenn Roboter Menschen ersetzen

Eine automatisierte Arbeit verliert seine Wertschöpfung dadurch nicht. Jemand besitzt diesen Hightech-Apparat und erwirtschaftet damit Erträge. Daher muss mit der digitalen Gesellschaft grundsätzlich die Verteilung von Einkommen und Vermögen neu diskutiert werden. Nur so gelingt es, den Erwerbseinkommen abhängigen Menschen die Ängste um den Arbeitsplatzverlust zu nehmen.

Angst um Arbeitsplatz

Mit der Industrialisierung gibt es einen immensen technischen Fortschritt. Gewisse Arbeit wurde überflüssig gemacht, jedoch entstand an andere Stelle neue Erwerbseinkommen. Diesmal glauben zahlreiche Ökonomen und Zukunftsforscher das die Automatisierung viele Tätigkeiten in den Büros und Verwaltungen übernehmen wird. Das Kreieren neuartiger wirtschaftlicher Betätigungsfelder werde daher zukünftig schwieriger. Dank dem Fortschritt werden die meisten strukturierten Arbeiten zukünftig durch Maschinen bewältigt.

Im Folgenden prognostiziert Trendforscher David Bosshart wo Algorithmen den Menschen ersetzen werden:


Quelle: SRF, Samstagsrundschau vom 2.01.2016 – Trend-Forscher David Bossharts Blick in die Zukunft

In diesem Radiointerview fühlt sich die Journalistin Eveline Kobler leicht angegriffen. Eröffnet ihr doch Herr Bosshard, dass es in der Zukunft Journalisten nicht mehr braucht. Die Reaktion der Journalistin ist typisch, weil für viele Menschen ihre Arbeit die Erwerbsgrundlage bildet.

Automatisierung auch im Dienstleistungssektor

Gemäss Deloitte sind fast 50 % aller Stellen in der Schweiz automatisierbar. Es gibt Kritiker solcher Studien, die betonen: „Die Fabrik der Zukunft ist so menschenleer, wie die heutigen Büros papierlos sind“. Meistens gibt es in diesen Studien keine Angabe über den Zeitrahmen dieser Transformation. Teilweise sprechen sie von einer oder zwei Dekaden.


Quelle: SRF, ECO vom 9.11.2015 – «ECO Spezial»: Wenn Roboter Menschen ersetzen

Sicherlich wird die Automatisierung immer weitere Tätigkeiten und Bereiche erfassen, jedoch wird dies seine Zeit benötigen. Zudem wird sich eine vollständige Automatisierung gewisser Arbeiten schwieriger erweisen als im Vornherein angenommen.

Lahmende Produktivität trotz Digitalisierung

Nun wird es offensichtlich, warum ich in diesem Beitrag von Arbeitsproduktivität schreibe. Angenommen in 20 Jahren würden 50 % der Arbeitsstellen wegrationalisiert, dann entspräche dies einer durchschnittlichen Arbeitsproduktivität von circa 3.5 Prozent, bei einer Dekade wären dies gar über 7 %. Wie Sie oben dem Balkendiagramm entnehmen können, ist die jährliche Zuwachsrate bei der Arbeitsproduktivität geschrumpft. Offensichtlich hat sich der wissenschaftlich-technische Fortschritt und damit auch die Digitalisierung in den letzten Jahren nicht im Produktivitätsgewinn niedergeschlagen.

Fazit

Der Fortschritt in der digitalen Automatisierung könnte weitaus schneller vorangetrieben werden. Dazu müsste die Menschheit den technischen Fortschritt als Chance betrachten, stattdessen bearbeiten die Medien die Existenzängste. Gemäss Umfragen erlebt jeder zweite deutsche Stress in seinem Beruf. Genau so viele sorgen sich um ihren Arbeitsplatz. Mit der Automatisierung könnte das Arbeits- und Privatleben in einem besseren Einklang gebracht werden.

Bisher lässt sich die digitale Ära kaum in einer Steigerung der Produktivität ablesen. Wenn die angebliche digitale Revolution wie in gewissen Studien prognostiziert stattfindet, dann würden wir demnächst eine unglaubliche Produktivitätssteigerung erleben, dies wäre völlig gegen den bisherigen Trend. Die Möglichkeiten unserer technischen Wunderwerke werden einmal mehr völlig überschätzt. Ausserdem sind Menschen äusserst kreativ im Erschaffen von neuen unnützen Tätigkeitsgebieten, die oftmals der Symptombekämpfung irgendwelcher realer oder erdachter Probleme dienen.

Die Vermögenden und ihre Hampelmänner wie Politiker, Ökonomen und ihre Medien manipulieren ihre Bevölkerung sehr erfolgreich. Viele Menschen sind sich dieser Manipulation nicht bewusst und können sich keine Alternative zum Bestehenden vorstellen. Beispielsweise wird als Lösung im Kampf um die Arbeitsplätze noch mehr derselben Bildung propagiert. Damit wird die Schere zwischen Arm und Reich nicht geringer. Wenn alle 100-Meter-Läufer mit Doping eine Zehntelsekunde schneller sind, ändert sich dadurch die Rangliste nicht. Der Letzte bleibt das Schlusslicht und der Zweite ist noch immer der erste Verlierer. Zurzeit haben wir eine Ökonomie, wo der Gewinner bzw. wer auf diesen wettet, fast alles bekommt, weil die Arbeit gegenüber dem Kapital benachteiligt ist. Um hier ein besseres Gleichgewicht zu erzielen, müsste die Politik endlich im Interesse aller handeln. Dies wird der Inhalt eines weiteren Beitrages sein.

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