In diesem Beitrag möchte ich explizit festhalten, dass ich die Schuldfrage an diesem Krieg nicht behandeln werde. Diese komplexe Frage verdient möglicherweise einen separaten Artikel. Stattdessen konzentriere ich mich auf die ökonomischen und gesellschaftlichen Kosten für Europa und auf die erstaunliche Diskrepanz in der öffentlichen Debatte zwischen zwei grossen Krisen: den Rettungsprogrammen für Griechenland und dem Krieg in der Ukraine.

Warum dieser Beitrag notwendig ist

Die Motivation für das Schreiben dieses Textes wurde in den letzten Monaten dadurch bestärkt, dass die europäischen politischen Staatsführer offensichtlich überhaupt keinen Frieden in der Ukraine wollen. Dies liegt einerseits an der sehr einseitigen Berichterstattung zugunsten der Ukraine und andererseits an den kriegstreiberischen Kommentaren der Leser in den Medien. Ich fühle mich bestärkt, auch eine andere Sichtweise in die Diskussion einzubringen. Wer heute öffentlich Zweifel an der aktuellen Politik äussert oder nach den Kosten fragt, wird schnell in eine Ecke gestellt. Die Debattenkultur ist vergiftet. Kritische Stimmen werden nicht als legitimer Teil einer demokratischen Auseinandersetzung wahrgenommen, sondern als Störfaktoren behandelt. Das kann nicht richtig sein. In einer funktionierenden Demokratie muss es möglich sein, auch unbequeme Fragen zu stellen, ohne sofort moralisch diskreditiert zu werden.

Einleitung: Vom Klimawandel zum Dauerkrieg

Erinnern Sie sich noch an die Zeit vor der Corona Pandemie? Der Kampf gegen die Klimaerwärmung beherrschte die politische Agenda. Fridays for Future mobilisierte Hunderttausende, der Green Deal der EU wurde als historisches Projekt verkauft, und kaum eine politische Rede kam ohne Verweis auf die Klimakrise aus. Dann kam im Frühjahr 2020 die Pandemie und verschob die Prioritäten radikal. Seit Februar 2022 bestimmt nun der Krieg in der Ukraine die europäische Politik. Und der Klimaschutz? Er scheint massiv an Priorität verloren zu haben. Die Ressourcen fliessen heute in Aufrüstung und Kriegsfinanzierung, nicht in die Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft.

Doch worum es mir in diesem Beitrag vor allem geht, ist die völlig unterschiedliche Art und Weise, wie Europa über die Kosten dieser beiden Krisen debattiert. Bei den Rettungsprogrammen für Griechenland zwischen 2010 und 2018 dominierte monatelang die Empörung über jeden ausgegebenen Euro. Bei den Kosten des Krieges in der Ukraine herrscht hingegen weitgehend Schweigen. Diese Diskrepanz wirft grundlegende Fragen über Transparenz, demokratische Kontrolle und die Rolle der Medien auf.

Die Rettungsprogramme für Griechenland: Als jeder Euro zählte

Wer die Jahre nach der Finanzkrise von 2008 politisch verfolgt hat, erinnert sich an die endlosen Debatten über die Rettung Griechenlands. Über drei Programme hinweg erhielt Griechenland Kredite in Höhe von insgesamt knapp 290 Milliarden Euro. Die mediale Berichterstattung war intensiv und oft emotional aufgeladen. In der deutschen Presse wurde vom „faulen Griechen“ geschrieben, der auf Kosten der fleissigen Nordeuropäer lebe. Jede neue Tranche wurde in den nationalen Parlamenten debattiert. Die Austeritätsmassnahmen waren über Jahre hinweg das beherrschende Thema der europäischen Politik. Was in der aufgeregten öffentlichen Debatte oft unterging: Die Rettungsprogramme dienten primär der Stabilisierung des europäischen Bankensystems. Französische und deutsche Banken hatten massive Risiken in griechischen Staatsanleihen konzentriert, in der Grössenordnung von über 100 Milliarden Euro. Unabhängige ökonomische Analysen zeigen, dass weniger als 10 Prozent der Hilfsgelder tatsächlich dem griechischen Staatshaushalt zur Verfügung standen. Der Rest floss durch den griechischen Haushalt hindurch und diente der Rückzahlung an private Gläubiger. Der Mechanismus war faktisch eine Umschuldungsoperation: Das Ausfallrisiko wanderte von den Bilanzen französischer und deutscher Banken auf die öffentlichen Haushalte der Eurozone. Die griechische Bevölkerung trug die Hauptlast dieser Politik durch eine beispiellose Wirtschaftsdepression mit einem Verlust von etwa einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts.

Das Entscheidende aber war: Es gab eine intensive öffentliche Debatte. Jeder Euro wurde auf die Waagschale gelegt. Die Medien berichteten ausführlich. Die Parlamente debattierten. Die Bürger konnten sich informieren und eine Meinung bilden.

Der Krieg in der Ukraine: Schweigen über Hunderte Milliarden

Seit Februar 2022 unterstützt Europa die Ukraine in einem historisch beispiellosen Umfang. Die direkten Hilfszusagen von EU Institutionen und Mitgliedstaaten belaufen sich auf weit über 170 Milliarden Euro. Hinzu kommen indirekte Kosten durch die Energiekrise und die Versorgung von Millionen Flüchtlingen, die sich auf mehrere Hundert Milliarden Euro summieren. Insgesamt sprechen wir von quantifizierbaren Kosten von deutlich über 600 Milliarden Euro in weniger als vier Jahren.

Zum Vergleich: Das ist mehr als das Doppelte der gesamten Rettungsprogramme für Griechenland, und das in weniger als der Hälfte der Zeit. Und nun die entscheidende Frage: Wo ist die öffentliche Debatte über diese Summen? Wo sind die kritischen Parlamentsdebatten? Wo sind die Schlagzeilen, die nach Transparenz und Rechenschaft verlangen? Das Schweigen ist ohrenbetäubend.

Die verschwiegenen Opfer: Hunderttausende Tote für die „Freiheit“

Es wird immer von der Freiheit gesprochen, die angeblich in der Ukraine verteidigt wird. Es wird aber nie von den verletzten und toten Soldaten beider Seiten gesprochen. Die genauen Opferzahlen bleiben weitgehend im Dunkeln, aber seriöse Schätzungen gehen von Hunderttausenden getöteten und verletzten Soldaten aus. Hinter jeder dieser Zahlen stehen Familien, die einen Sohn, einen Vater, einen Bruder verloren haben.

Ich stelle mir immer vor: Nach dem Mauerfall 1989 waren plötzlich überall Touristen aus Ländern hinter dem Eisernen Vorhang anzutreffen. Wahrscheinlich haben sich auch Ukrainer mit Russen irgendwo in einer Bar einer Feriendestination unterhalten und sich zusammen amüsiert. Jetzt schiessen vielleicht die gleichen Personen aufeinander, nur weil es eine alte Elite dieser und anderer Länder will. Das ist doch einfach nur hirnverbrannt. Diese menschliche Dimension des Krieges wird in der medialen Berichterstattung systematisch ausgeblendet. Stattdessen dominieren abstrakte Begriffe wie „territoriale Integrität“ und „regelbasierte Ordnung“ die Debatte. Die konkreten Menschen, die jeden Tag sterben, bleiben unsichtbar.

Selektive Empörung: Wenn manche Opfer mehr zählen als andere

Über die zivilen Opfer in der Ukraine wurde natürlich schon in der westlichen Presse geschrieben. Am liebsten über Kinder, die bei Luftangriffen sterben. So kann das Narrativ des bösen Putin und der bösen Russen aufrechterhalten werden. Jedes getötete ukrainische Kind wird zum Symbol für die Unmenschlichkeit des Krieges stilisiert, und das ist auch richtig so. Kein Kind sollte in einem Krieg sterben müssen. Doch die Heuchelei offenbart sich, wenn man den Blick auf andere Konflikte richtet. Im Schweizer Radio SRF wird wenigstens auch über die kindlichen Opfer der Palästinenser berichtet, wobei angemerkt wird, dass diese Angaben nicht verifiziert werden können. Das ist ein weiterer Beweis für die Voreingenommenheit der westlichen Berichterstattung. Israel darf fast alles und Russland fast nichts.

Warum werden die Opferzahlen aus der Ukraine ohne Verifikationsvorbehalt übernommen, während bei palästinensischen Opfern stets betont wird, dass die Angaben nicht überprüfbar seien? Warum sind tote Kinder in der Ukraine ein Beweis für russische Kriegsverbrechen, während tote Kinder in Gaza als bedauerliche Kollateralschäden im Kampf gegen den Terrorismus dargestellt werden? Diese Doppelmoral in der Berichterstattung ist für jeden denkenden Menschen offensichtlich. Sie zeigt, dass es nicht wirklich um Menschenrechte, humanitäre Prinzipien oder das Völkerrecht geht. Es geht um geopolitische Interessen und um die Frage, wer als Verbündeter gilt und wer als Feind. Die Medien spielen dabei die Rolle des Verstärkers für diese selektive Empörung.

Die Konsequenz dieser einseitigen Berichterstattung ist fatal: Die Bevölkerung entwickelt ein verzerrtes Bild der Realität. Wer nur erfährt, dass russische Angriffe zivile Opfer fordern, aber nie hört, dass auch ukrainische Streitkräfte zivile Gebiete beschossen haben, kann sich keine ausgewogene Meinung bilden. Wer ständig mit Bildern von Zerstörung in ukrainischen Städten konfrontiert wird, aber kaum etwas über die Situation in den von der Ukraine beschossenen Gebieten im Donbass erfährt, bekommt nur die halbe Wahrheit präsentiert.

Angst als Geschäftsmodell: Die mysteriösen Drohnensichtungen

Ein besonders aufschlussreiches Beispiel für die Propaganda Maschinerie ist das Phänomen der Drohnensichtungen der letzten Monate. An verschiedenen europäischen Flughäfen wurden vermehrt angebliche Drohnen gesichtet. Politiker und Medien schrieben diese Vorfälle mehrheitlich den Russen zu. Die Narrative war klar: Russische Sabotage, hybride Kriegsführung, die Bedrohung ist bereits bei uns angekommen. Inzwischen wurden einige dieser Sichtungen aufgeklärt. Es waren irgendwelche Hobby Flieger. Teilweise sogar ganz normale Flugzeuge oder Vögel, die in der Dämmerung für Drohnen gehalten wurden. Doch die ursprünglichen Schlagzeilen über die russische Bedrohung hatten ihre Wirkung bereits erzielt. Ich glaube, dies war mehr eine Propaganda Aktion des Westens, um in der Bevölkerung Angst zu schüren. Die immensen Aufrüstungsprogramme, die derzeit in ganz Europa beschlossen werden, müssen dem Wahlvolk irgendwie verkauft werden. Was eignet sich dazu besser als die Suggestion einer unmittelbaren Bedrohung? Wenn russische Drohnen angeblich unsere Flughäfen bedrohen, lassen sich dreistellige Milliardenbeträge für neue Waffensysteme leichter rechtfertigen.

Das Perfide an dieser Art von Angstpropaganda ist, dass die Korrektur der ursprünglichen Behauptungen kaum noch Beachtung findet. Die erste Schlagzeile „Russische Drohnen über deutschem Flughafen“ erreicht Millionen. Die Aufklärung „Es war doch nur eine Hobbydrohne“ verschwindet irgendwo auf Seite 15. Der gewünschte Effekt ist bereits eingetreten: Die Bevölkerung ist verunsichert und akzeptiert die Aufrüstung.

Medien als Sprachrohr: Kriegstreiber statt Friedenstauben

Eine zentrale Rolle in diesem Krieg spielen die europäischen Medien. Sie funktionieren weitgehend als Sprachrohr der Regierungen und stellen nicht die Frage nach den sinnlosen Toten und den finanziellen Kosten dieses Krieges. Auffällig ist, wie viel mediale Zeit den „Kriegstreibern“ eingeräumt wird, während die Friedenstauben kaum zu Wort kommen. Wer in den Medien auch nur vorsichtig Verhandlungen fordert, wird schnell als „Putinversteher“ oder „nützlicher Idiot“ diffamiert. Die Debatte ist erstaunlich einseitig. Das Mantra „Die Ukraine darf nicht verlieren“ hat eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Kosten, Risiken und möglichen diplomatischen Lösungen weitgehend ersetzt.

Die Dämonisierung Putins: Ein Hindernis für Friedensverhandlungen

Für die Europäer ist möglicherweise Putin als Person das Problem. Weil sie nicht verhandeln wollen, wird er zur absoluten Unperson erklärt. Ein besonders drastisches Beispiel lieferte der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz vor etwa zwei Monaten, als er Putin den „vielleicht grössten Kriegsverbrecher unserer Zeit“ nannte:

Diese Art der Rhetorik macht Verhandlungen nahezu unmöglich. Denn wie soll man mit jemandem verhandeln, den man öffentlich als grössten Kriegsverbrecher unserer Zeit bezeichnet hat? Der Lügenkanzler Merz, und ja, dieses Framing ist angebracht, da es stimmt, hat sich und Europa durch solche Aussagen in eine Sackgasse manövriert, aus der es ohne massiven Gesichtsverlust keinen Ausweg mehr gibt. Die politische Klasse Europas hat sich durch ihre eigene Rhetorik gefangen. Jeder Schritt in Richtung Verhandlungen würde nun als Schwäche oder gar Verrat ausgelegt. Also wird weiter gekämpft, weiter aufgerüstet, weiter finanziert. Und täglich sterben Menschen.

Das Phänomen der Ungnade: Assad und al-Scharaa

Dabei zeigt die internationale Politik immer wieder, wie schnell jemand in Ungnade fallen oder rehabilitiert werden kann. Erwähnenswert ist hier Baschar al-Assad von Syrien, der für die westlichen Staaten lange in Ungnade gefallen war. Sein Nachfolger Ahmed al-Scharaa wurde kürzlich im Weissen Haus empfangen. Erstaunlicherweise stand dieser kurz zuvor noch auf der Terroristenliste der USA.

Dieses Beispiel zeigt: Politische Kategorien wie „Terrorist“ oder „Verhandlungspartner“ sind keine objektiven Tatsachen, sondern Zuschreibungen, die sich je nach politischer Opportunität ändern können. Wer heute als Unberührbarer gilt, kann morgen schon wieder ein akzeptabler Gesprächspartner sein. Die Frage ist: Warum soll das bei Putin nicht möglich sein? Warum verhindert die Dämonisierung einer Person ernsthafte Friedensbemühungen, während Hunderttausende sterben und Hunderte Milliarden Euro in die Kriegsfinanzierung fliessen?

Friedensbemühungen: Scheingipfel ohne Substanz

In den letzten Monaten gab es nur ernsthafte Friedensbemühungen durch US Präsident Trump, während sich die meisten Amtsträger der EU den echten Friedensgesprächen verweigern. Der vielzitierte Friedensgipfel in der Schweiz im Juni 2024 war ohne Russland ein lächerliches Unterfangen. Viel Lärm um nichts. Wie soll man einen Krieg beenden, wenn eine der beiden Kriegsparteien nicht am Tisch sitzt? Diese Art von symbolischer Diplomatie, bei der man sich gegenseitig auf die Schulter klopft, aber keine substanziellen Verhandlungen führt, ist bestenfalls naive Selbsttäuschung, schlimmstenfalls bewusste Verschleppung. Jeden Tag, an dem nicht ernsthaft verhandelt wird, sterben Menschen. Jeden Monat fliessen weitere Milliarden in die Kriegsfinanzierung.

Das Demokratiedefizit: Wer entscheidet über Krieg und Frieden?

Ich halte es nicht für gut, dass die Regierungen ohne Rückfrage an ihre Wähler diesen Krieg weiterführen. Bei den Rettungsprogrammen für Griechenland gab es intensive parlamentarische Kontrolle, Volksabstimmungen wurden diskutiert, die öffentliche Debatte war allgegenwärtig. Beim Krieg in der Ukraine herrscht ein fundamentales Demokratiedefizit. Es gab keine Volksabstimmungen über die Fortsetzung der Militärhilfe in diesem Umfang. Die parlamentarischen Debatten über die Gesamtstrategie sind minimal. Trotz enormer Kosten von über 600 Milliarden Euro bleiben Massenproteste aus. Warum? Weil die wahren Kosten nicht transparent kommuniziert werden. Weil die Zahl der gefallenen Soldaten verschwiegen wird. Weil die Medien ihrer Kontrollfunktion nicht nachkommen. Ich bin mir sicher: Wenn die menschlichen und finanziellen Kosten dieses Krieges transparent gemacht würden, gäbe es in Europa sehr viele Demonstrationen für die Beendigung dieses Krieges. Ich glaube, ich bin nicht der Einzige in Europa, der diesen Krieg schnellstmöglich beendet sehen möchte.

Generationenungerechtigkeit: Wenn alte Eliten die Zukunft junger Menschen verspielen

Ich finde es katastrophal, dass eine Elite aus älteren Herren und Damen mit Investitionen in Kriege und deren Folgen die Zukunft junger Menschen verbaut. Schauen wir uns an, wer die Entscheidungen trifft: Die politische Führung Europas besteht mehrheitlich aus Menschen jenseits der 60, oft sogar jenseits der 70. Sie werden die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen nicht mehr erleben müssen. Die Schulden, die heute aufgetürmt werden, die zerstörte Infrastruktur, die vergifteten diplomatischen Beziehungen, das alles müssen die jüngeren Generationen ausbaden. Es sind nicht die 70-jährigen Politiker, die an der Front sterben. Es sind die 20- bis 30-jährigen Soldaten. Es sind nicht die älteren Eliten, die in den nächsten Jahrzehnten die Kriegsschulden zurückzahlen müssen. Es sind die jungen Steuerzahler. Es sind nicht die Entscheidungsträger von heute, die in einer Welt mit zerrütteten Beziehungen zu Russland und einem militarisierten Europa leben werden. Es sind die Kinder und Enkel.

Möglicherweise sollten wir in den westlichen Demokratien eine Altersbeschränkung für Politiker oder Wähler einführen. Man könnte beispielsweise die Stimmen von Wählern unter 60 Jahren mit dem Faktor 1.8 höher gewichten. Das klingt radikal, aber ist es nicht ebenso radikal, dass Menschen, die in 20 Jahren nicht mehr leben werden, Entscheidungen treffen, die über Jahrzehnte nachwirken? Die ökonomische Realität ist brutal: Die Generation, die heute in Europa politisch dominiert, hat bereits eine beispiellose Staatsverschuldung angehäuft. Die Rentensysteme sind nicht nachhaltig finanziert. Die Klimakrise wird ignoriert. Und nun wird auch noch ein Krieg mitfinanziert, dessen Kosten in die Hunderte Milliarden gehen. All das wird auf dem Rücken der jüngeren Generationen ausgetragen. Hinzu kommt: Viele der älteren Politiker und Entscheidungsträger haben durchaus Investitionen in Rüstungsunternehmen oder profitieren indirekt von der Kriegswirtschaft. Die Verflechtungen zwischen Politik und Rüstungsindustrie sind in Europa erheblich. Während junge Menschen an der Front sterben oder mit den wirtschaftlichen Folgen kämpfen, gibt es durchaus Kreise, die von diesem Krieg profitieren.

Die Ukraine: Ein gescheiterter Staat am Tropf

Ein weiterer Aspekt, der selten thematisiert wird: Die Ukraine ist ökonomisch längst bankrott. Der Staatshaushalt wird etwa zur Hälfte aus ausländischer Hilfe finanziert. Ohne die kontinuierlichen Transfers aus Europa wäre der ukrainische Staat nicht handlungsfähig. Eine Exit-Strategie ist nicht erkennbar. Die Ukraine wird auf absehbare Zeit ein Transferempfänger bleiben, selbst wenn der Krieg morgen enden würde. Die Parallele zu Griechenland ist frappierend. Auch dort führten die Rettungsprogramme nicht zu einer echten wirtschaftlichen Erholung, sondern zu einer dauerhaften Abhängigkeit. Nur dass bei der Ukraine die Summen noch weitaus höher sind und die wirtschaftlichen Aussichten noch düsterer.

Fazit: Zeit für Transparenz, Debatte und echte Friedensgespräche

Die Gegenüberstellung der beiden Krisen offenbart einen fundamentalen Widerspruch in der europäischen Politik. Bei den Rettungsprogrammen für Griechenland über knapp 290 Milliarden Euro gab es maximale öffentliche Kontrolle, jahrelange mediale Empörung und intensive parlamentarische Debatten. Bei den Kosten des Krieges in der Ukraine von deutlich über 600 Milliarden Euro herrscht hingegen weitgehend Schweigen. Die Klimakrise, die vor der Pandemie und dem Krieg das beherrschende politische Thema war, ist heute weitgehend aus der Agenda verschwunden. Die enormen Ressourcen, die heute in Aufrüstung und Kriegsfinanzierung fliessen, fehlen beim Klimaschutz. Die Frage nach den Prioritäten stellt sich drängend.

Die europäischen Medien spielen in diesem Krieg eine unrühmliche Rolle. Anstatt kritisch zu hinterfragen und die Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen, funktionieren sie weitgehend als Verstärker der offiziellen Narrative. Die Dämonisierung Putins macht ernsthafte Verhandlungen nahezu unmöglich, während täglich Menschen sterben. Angstpropaganda wie die Drohnen Geschichte über europäischen Flughäfen soll die Bevölkerung auf die massiven Aufrüstungsprogramme einstimmen.

Bürger haben ein Recht auf volle Transparenz über sämtliche Kosten dieses Krieges, sowohl die finanziellen als auch die menschlichen. Eine demokratische Gesellschaft muss über einen Krieg dieser Dimension entscheiden können. Die Forderung ist klar: Offenlegung aller Kosten, ernsthafte Friedensverhandlungen mit allen Kriegsparteien am Tisch und echte Bürgerbeteiligung bei Entscheidungen über die Fortsetzung der Unterstützung.

Hunderte Milliarden Euro, Hunderttausende Tote und Verletzte, fast vier Jahre Leid. Menschen, die sich früher in Feriendestinationen getroffen und zusammen gelacht haben, schiessen jetzt aufeinander, weil es eine alte Elite will. Europa redet darüber weniger als über die Rettung Griechenlands. Das ist nicht nur ein Skandal, das ist eine Bankrotterklärung unserer demokratischen Kultur.

Im ersten Teil unserer Analyse haben wir die Fakten westlicher Interventionspolitik beleuchtet: die Kriege, Regime Changes und das selektive Sanktionssystem. Doch diese offensichtlichen Formen der Machtausübung sind nur ein Teil eines grösseren Bildes. Dahinter liegt ein System wirtschaftlicher und institutioneller Strukturen, das seit Jahrzehnten die globalen Verhältnisse prägt. Diese Mechanismen sind raffinierter als die brutalen Methoden früherer Kolonialzeiten und funktionieren durch Wirtschaftsabkommen, internationale Institutionen und mediale Einflussnahme.

Das Ergebnis bleibt oft ähnlich: Entwicklungsländer liefern Rohstoffe und billige Arbeitskraft, während Industrienationen die Wertschöpfung kontrollieren und die Regeln definieren. Gleichzeitig zeigt sich eine selektive Aufmerksamkeit für globale Krisen. Während über Konflikte in geopolitisch wichtigen Regionen ausführlich berichtet wird, bleiben humanitäre Katastrophen in strategisch unwichtigen Gebieten oft unbeachtet.

Wirtschaftliche Abhängigkeitsstrukturen

Ungleiche Handelsbeziehungen

Der internationale Handel folgt Strukturen, die systematisch Industrieländer bevorzugen und Entwicklungsländer in der Rolle der Rohstofflieferanten gefangen halten. Multinationale Konzerne sichern sich Zugang zu Bodenschätzen, Plantagen und kostengünstigen Produktionsstätten unter Bedingungen, die für die betroffenen Länder oft wenig vorteilhaft sind. Dies funktioniert über verschiedene Mechanismen. Handelsabkommen fördern den Export von Rohstoffen, behindern aber den Aufbau lokaler Industrien. Zölle und Importbeschränkungen treffen verarbeitete Produkte aus Entwicklungsländern härter als Rohstoffe. Ein anschauliches Beispiel: Kakao aus Ghana kann zollfrei in die EU exportiert werden, während Schokolade aus Ghana hohe Zölle zahlen muss. So bleibt die wertschöpfende Verarbeitung in Europa.

Rohstoffbedarf der grünen Transformation

Besonders deutlich werden diese Strukturen bei den Rohstoffen für die Energiewende. Westliche Länder forcieren den Übergang zu erneuerbaren Energien und Elektromobilität, um ihre Klimaziele zu erreichen. Die dafür benötigten Materialien stammen jedoch aus Ländern, die von den Umweltkosten des Abbaus wenig profitieren. Lithium für Batterien kommt hauptsächlich aus Chile, Bolivien und Argentinien. Der Abbau verbraucht gigantische Wassermengen in ohnehin trockenen Regionen und belastet das Grundwasser. Kobalt stammt zu 70 Prozent aus der Demokratischen Republik Kongo, wo auch Kinderarbeit in illegalen Minen dokumentiert ist. Seltene Erden für Windturbinen und Solarpanels werden vor allem in China abgebaut, mit erheblichen Umweltfolgen. Die westlichen Unternehmen profitieren von diesen Technologien und können sich als Klimavorreiter positionieren. Die Umwelt- und Sozialkosten bleiben jedoch weitgehend unsichtbar, da sie fernab von Europa und Nordamerika anfallen.

IWF und Weltbank als Steuerungsinstrumente

Eine besondere Rolle spielen die Bretton Woods Institutionen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank wurden nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen, um Entwicklung zu fördern und Krisen zu verhindern. In der Praxis sind sie jedoch zu Instrumenten der Wirtschaftspolitik der Geberländer geworden. Das System funktioniert folgendermassen: Länder geraten in finanzielle Schwierigkeiten, oft durch externe Schocks wie Rohstoffpreisschwankungen oder Zinssteigerungen in den USA. Der IWF bietet Kredite an, aber nur gegen Strukturanpassungsprogramme. Diese fordern typischerweise Privatisierung staatlicher Unternehmen, Öffnung der Märkte für ausländische Investoren, Kürzung von Sozialausgaben und Deregulierung der Finanzmärkte. Das Ergebnis ist vorhersagbar: Westliche Konzerne können günstig privatisierte Unternehmen aufkaufen, neue Märkte erschliessen und Ressourcen ausbeuten. Die lokale Bevölkerung zahlt den Preis durch höhere Preise für Grundgüter, schlechtere öffentliche Dienstleistungen und weniger Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor.

Griechenland während der Eurokrise ist ein anschauliches Beispiel aus Europa. Die Troika aus EU, EZB und IWF zwang das Land zu drastischen Sparmassnahmen und Privatisierungen. Deutsche und französische Banken, die riskant an Griechenland verliehen hatten, wurden gerettet. Die griechische Bevölkerung bekam Arbeitslosigkeit und soziale Kürzungen.

Selektive Aufmerksamkeit für Krisen

Der vergessene Konflikt im Sudan

Wenn Politiker von wertebasierter Aussenpolitik sprechen, lohnt ein Blick darauf, welche Krisen Aufmerksamkeit bekommen und welche nicht. Das Muster ist aufschlussreich: Interventionen finden dort statt, wo geopolitische oder wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen. Humanitäre Katastrophen in strategisch unwichtigen Regionen werden oft ignoriert.

Seit April 2023 tobt im Sudan einer der brutalsten Konflikte weltweit. Zwei Militärfaktionen kämpfen um die Macht, mit erschütternden Folgen: Über 20’000 Tote, mehr als 10 Millionen Binnenvertriebene, 2 Millionen Flüchtlinge in Nachbarländern. In Darfur verüben paramilitärische Kräfte systematische Massaker. In der belagerten Stadt El Fascher kämpfen 300’000 Menschen ums Überleben. Experten sprechen von Kriegsverbrechen und ethnischen Säuberungen. Die UN warnt vor einer der schlimmsten humanitären Krisen weltweit. Trotzdem ist der Sudan Konflikt in westlichen Medien praktisch unsichtbar.

Warum der Sudan ignoriert wird

Der Grund für diese geringe Aufmerksamkeit liegt auf der Hand: Im Sudan gibt es für westliche Länder wenig zu holen. Das Land hat keine strategisch wichtigen Rohstoffe, liegt geografisch weit von Europa entfernt und schickt kaum Flüchtlinge in den Westen. 2023 stellten sudanesische Staatsangehörige nur etwa 10’000 Asylanträge in der EU, bei über 10 Millionen Vertriebenen im eigenen Land. Zudem fehlen klare geopolitische Fronten. Anders als in der Ukraine, wo Russland als Gegner westlicher Interessen agiert, kämpfen im Sudan zwei Fraktionen um die Macht, von denen keine den westlichen Ländern besonders nahe oder fern steht. Es gibt keine Gelegenheit, den Konflikt für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.

Historische Muster selektiver Intervention

Dieses Muster zieht sich durch die Aussenpolitik der letzten Jahrzehnte. In Ruanda massakrierten sich 1994 verschiedene Bevölkerungsgruppen gegenseitig, die internationale Gemeinschaft schaute weg, da das kleine afrikanische Land strategisch unwichtig war. Zur gleichen Zeit bombardierte die NATO Jugoslawien, offiziell aus humanitären Gründen, tatsächlich aber um russischen Einfluss auf dem Balkan zu begrenzen.

In Jemen führt Saudi Arabien seit 2015 einen verheerenden Krieg mit westlichen Waffen. Über 350’000 Menschen sind gestorben, Millionen hungern. Doch Saudi Arabien ist strategischer Partner, deshalb wird das Land nicht sanktioniert, sondern weiter mit Waffen beliefert.

Die Botschaft ist deutlich: Menschenrechte werden dann wichtig, wenn sie den Interessen der mächtigen Länder dienen. Ansonsten bleiben sie Verhandlungsmasse.

Ökologische Doppelstandards

Ungleicher Ressourcenverbrauch

Während Industrieländer anderen Ländern Nachhaltigkeit predigen, leben sie selbst weit über den ökologischen Möglichkeiten. Diese Diskrepanz zeigt sich besonders deutlich beim Ressourcenverbrauch und den CO₂ Emissionen. Die Zahlen sprechen für sich: Ein Amerikaner fliegt im Durchschnitt etwa 2’300 Kilometer pro Jahr, ein Europäer etwa 1’400 Kilometer. In Afrika oder Südasien sind es weniger als 100 Kilometer. Während im Westen Billigflieger für Wochenendtrips beworben werden, bleibt in weiten Teilen der Welt ein Flugticket Luxus.

Beim Fleischkonsum ist die Ungleichheit noch drastischer. In den USA werden pro Person und Jahr über 120 Kilogramm Fleisch konsumiert, in Europa etwa 80 Kilogramm. In vielen Ländern Afrikas und Asiens sind es weniger als 10 Kilogramm. Dabei ist Fleischproduktion einer der grössten Klimabelaster: Sie braucht enorme Flächen, verschlingt Wasser und produziert Treibhausgase.

Bei Autos ist das Verhältnis ähnlich extrem. In den USA kommen 800 Autos auf 1’000 Einwohner, in Deutschland 570, in Indien gerade einmal 22. Während westliche Städte im Verkehr ersticken, fahren in weiten Teilen der Welt die meisten Menschen Fahrrad oder gehen zu Fuss.

Die Unmöglichkeit des westlichen Lebensstils

Diese Zahlen sind mehr als Statistiken, sie zeigen die Unmöglichkeit einer globalen Ausweitung des westlichen Lebensstils. Wenn alle Menschen so leben würden wie der Durchschnittsamerikaner, bräuchten wir etwa fünf Planeten. Selbst der europäische Lebensstil würde drei Planeten erfordern.

Industrieländer haben sich die besten Ressourcen gesichert und verbrauchen sie weit über das hinaus, was nachhaltig wäre. Gleichzeitig sind es oft gerade die Länder mit dem niedrigsten Verbrauch, die am stärksten unter den Folgen leiden. Überschwemmungen in Bangladesch, Dürren in Afrika, steigende Meeresspiegel im Pazifik – die Opfer haben das Problem meist nicht verursacht.

Die Schattenseiten der grünen Transformation

Besonders problematisch wird die ökologische Diskrepanz bei der sogenannten grünen Transformation. Industrieländer inszenieren sich als Vorreiter im Klimaschutz: Elektroautos, Solarpanels, Windturbinen, Recycling. Doch diese Technologien haben ihre eigenen dunklen Seiten.

Elektroauto Batterien brauchen Lithium aus südamerikanischen Salzwüsten, wo der Abbau ganze Ökosysteme zerstört. Für ein durchschnittliches E-Auto werden etwa 8 Kilogramm Lithium benötigt – der Abbau dieser Menge verbraucht etwa 500’000 Liter Wasser. In der Atacama Wüste sinkt deshalb der Grundwasserspiegel drastisch, Flamingos sterben und Quinoa Bauern verlieren ihre Existenz. Solarpanels benötigen seltene Erden, deren Abbau in China ganze Landstriche vergiftet. Windturbinen brauchen Neodym, ein seltenes Element, dessen Gewinnung radioaktive Abfälle produziert. Die Umweltkosten bleiben unsichtbar, solange sie nicht vor der eigenen Haustür anfallen.

Medien und Politik: Narrative der Legitimation

Der Zwang zur Rechtfertigung

Ein entscheidender Unterschied zwischen demokratischen Systemen und Diktaturen liegt darin, wie politische Entscheidungen legitimiert werden. Autokraten können einfach befehlen. Demokratische Regierungen hingegen müssen ihre Bevölkerung überzeugen, besonders bei unpopulären Kriegen oder wirtschaftlichen Eingriffen.

Kaum eine Bevölkerung würde Kriege um Öl, Rohstoffe oder geopolitische Vorteile unterstützen, wenn das offen gesagt würde. Deshalb sind westliche Regierungen darauf angewiesen, moralische Erzählungen zu entwickeln. Aus Angriffskriegen werden humanitäre Interventionen, aus Rohstoffinteressen wird Demokratieexport, aus Regime Changes wird Befreiung von Diktatoren.

Diese Notwendigkeit zur Rechtfertigung macht demokratische Systeme in gewisser Weise anfälliger für Heuchelei als offene Diktaturen. Ein Putin oder Xi Jinping muss seinen Bürgern nicht erklären, warum er militärisch eingreift. Ein Trump oder Merz hingegen muss eine Geschichte erzählen, die seine Wähler überzeugt.

Medien als Vermittler der Macht

Hier kommen die Medien ins Spiel. In funktionierenden Demokratien sollten sie die Regierung kritisch begleiten und deren Behauptungen überprüfen. In der Realität werden sie oft zu Vermittlern der Macht, die Regierungsnarrative weitgehend unkritisch übernehmen. Das zeigt sich besonders deutlich in Kriegszeiten. Beim Irak Krieg 2003 übernahmen grosse Zeitungen und Fernsehsender die Behauptungen über Massenvernichtungswaffen weitgehend unkritisch. Kritische Stimmen wurden marginalisiert oder als unpatriotisch abgestempelt.

Ähnlich funktionierte es bei den NATO Bomben auf Jugoslawien 1999, den Interventionen in Libyen 2011 oder der Berichterstattung über Syrien. Immer wieder das gleiche Muster: Regierungsquellen werden als verlässlich dargestellt, offizielle Verlautbarungen unkritisch übernommen, alternative Sichtweisen ausgeblendet.

Die Mechanismen der Einflussnahme

Diese Beeinflussung funktioniert über verschiedene Kanäle. In Krisenzeiten sind Journalisten oft auf offizielle Quellen angewiesen, weil unabhängige Recherche vor Ort zu gefährlich oder teuer ist. Zudem gibt es enge Verflechtungen zwischen Politik, Think Tanks und Medien. Viele Experten, die in Talkshows auftreten, sind von Rüstungskonzernen oder Regierungen finanziert.

Auch wirtschaftlicher Druck spielt eine Rolle. Medienunternehmen sind auf Werbung angewiesen, oft von Konzernen, die von Kriegseinsätzen profitieren. Kritische Berichterstattung kann Anzeigenkunden vergraulen. Das Ergebnis ist eine Medienlandschaft, die zwar formal frei ist, aber faktisch oft die Interessen der Mächtigen bedient. Die Bürger bekommen das Gefühl, informiert zu sein, erhalten aber hauptsächlich gefilterte Regierungsversionen der Ereignisse.

Internationale Institutionen als Steuerungsinstrumente

Der UN Sicherheitsrat als Machtinstrument

Der Westen hat nach 1945 ein Netz internationaler Institutionen geschaffen, das seine Dominanz stabilisiert. Diese Organisationen werden als neutral und multilateral dargestellt, dienen aber oft als Instrumente der Machtpolitik der führenden Nationen. Das offensichtlichste Beispiel ist der UN Sicherheitsrat. Fünf Länder – USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich – haben ein Vetorecht und können jede Resolution blockieren. Diese Zusammensetzung spiegelt die Machtverhältnisse von 1945 wider, nicht die heutige Welt. Indien hat viermal so viele Einwohner wie die USA, hat aber kein Vetorecht. Nigeria ist bevölkerungsreicher als Russland, Brasilien grösser als Frankreich – trotzdem sind sie zweitklassige UN Mitglieder. Das System zementiert die Vorherrschaft der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs.

In der Praxis nutzen die USA und ihre Verbündeten den Sicherheitsrat, um ihren Willen durchzusetzen oder zu blockieren. Resolutionen gegen Israel werden regelmässig von den USA verhindert, während Resolutionen gegen unliebsame Regime durchgewunken werden. Russland und China blockieren wiederum westliche Initiativen.

Die regelbasierte Ordnung der Mächtigen

Westliche Politiker sprechen gerne von der regelbasierten internationalen Ordnung, die verteidigt werden müsse. Das klingt neutral und gerecht. Schaut man genauer hin, zeigt sich: Es sind die Regeln der Mächtigen. Diese Ordnung funktioniert so: Die führenden westlichen Länder schreiben die Regeln über IWF, Weltbank und WTO, interpretieren sie über westlich dominierte Gerichte und Schiedsverfahren und setzen sie durch über Sanktionen und militärische Interventionen. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft – es sei denn, er ist stark genug, sich zu widersetzen, oder wichtig genug, um Nachsicht zu verdienen.

Völkerrecht gilt nur selektiv. Die USA sind dem Internationalen Strafgerichtshof nie beigetreten, weil sie nicht riskieren wollen, dass ihre Soldaten oder Politiker angeklagt werden. Israels Verstösse gegen UN Resolutionen werden ignoriert, während andere Länder für geringere Vergehen sanktioniert werden.

Wirtschaftliche Kontrollinstrumente

Besonders effektiv sind die wirtschaftlichen Kontrollinstrumente. Das internationale Bankensystem ist weitgehend von westlichen Institutionen dominiert. Das SWIFT System für internationale Überweisungen wird von einer belgischen Firma kontrolliert, die eng mit der EU und den USA kooperiert. Wer vom SWIFT System ausgeschlossen wird, ist faktisch von der Weltwirtschaft abgeschnitten.

Der US Dollar als Weltleitwährung gibt Washington enormen Einfluss. Transaktionen in Dollar können von den USA kontrolliert und blockiert werden, selbst wenn sie zwischen Drittländern stattfinden. Das nutzen die USA für ihre extraterritorialen Sanktionen – sie bestrafen nicht nur direkte Handelspartner ihrer Gegner, sondern auch Drittländer, die mit diesen handeln. Diese Dominanz ermöglicht es den führenden westlichen Ländern, ihre wirtschaftlichen und politischen Vorstellungen durchzusetzen, ohne Gewalt anwenden zu müssen. Wer nicht spurt, wird wirtschaftlich unter Druck gesetzt.

Fazit: Wandel der Weltordnung

Die beschriebenen Strukturen sind raffinierter und wirksamer als die brutalen Methoden früherer Zeiten. Sie funktionieren durch wirtschaftliche Abhängigkeiten, mediale Einflussnahme und institutionelle Kontrolle. Das Ergebnis ähnelt oft der Kolonialzeit: Entwicklungsländer liefern Rohstoffe und billige Arbeitskraft, Industrieländer kontrollieren die Wertschöpfung. Diese Strukturen werden durch eine ausgeprägte Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit zusammengehalten. Während man anderen Ländern Demokratie und Menschenrechte predigt, beutet man ihre Ressourcen aus und ignoriert ihre Leiden. Während man sich als Vorreiter im Klimaschutz inszeniert, verbraucht man ein Vielfaches der nachhaltigen Ressourcen.

Diese Diskrepanz funktioniert jedoch nur, solange die eigene Bevölkerung sie nicht durchschaut. Hier spielen die Medien eine Schlüsselrolle: Sie müssen die moralischen Erzählungen verbreiten, die das System legitimieren. Wenn sie versagen, bröckelt die Glaubwürdigkeit des ganzen Konstrukts. Erste Risse sind bereits sichtbar. Immer mehr Menschen durchschauen die Doppelstandards. Länder des globalen Südens organisieren sich in neuen Bündnissen jenseits westlicher Kontrolle. Die BRICS Staaten, die Shanghai Cooperation Organization, alternative Zahlungssysteme – überall entstehen Gegenpole zur westlichen Dominanz.

Die führenden westlichen Länder stehen vor einer Wahl: Entweder sie geben ihre Doppelstandards auf und akzeptieren eine multipolare Weltordnung auf Augenhöhe. Oder sie versuchen, ihre Dominanz mit zunehmend autoritären Mitteln zu verteidigen – und beweisen damit, dass sie nicht die Werte verkörpern, die sie predigen. Die Zeit der unbestrittenen westlichen Vorherrschaft geht zu Ende. Bleibt die Frage, ob der Übergang zu einer gerechteren Weltordnung gestaltet wird – oder ob sich die Geschichte als Kampf um die Erhaltung überkommener Privilegien wiederholt.

Als westlicher Politiker dürfte ich folgenden Text wohl nicht schreiben, denn das wäre wahrscheinlich gleichbedeutend mit dem Karriereende. Wer möchte schon gerne einen solchen Spiegel vorgehalten bekommen? Die politische Realität westlicher Demokratien verlangt von Politikern, dass sie die angenehmen Mythen aufrechterhalten. „Wir sind die Guten, unser Wohlstand ist verdient und unsere Interventionen dienen edlen Zielen.“ Wer diese Illusionen zerstört, wird nicht wiedergewählt. Die Wahrheit ist in der Politik meist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können.

In meinem letzten Beitrag habe ich geschrieben, dass die NATO eher ein Machtinstrument als ein Verteidigungsbündnis ist. Was ist meine Motivation, diesen sowie die vorherigen und den nächsten Beitrag zu schreiben? Einerseits beklagt sich der Westen über die Einmischung fremder Mächte in seine demokratischen Wahlen. Andererseits versteht der Westen nicht, warum sich der Rest der Welt nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligen will. Offensichtlich leidet der Westen an Amnesie, wenn es um seine eigene Einmischung in fremde Länder geht. Ich möchte an dieser Stelle an die Interventionen der USA, der NATO und der Koalition der Willigen erinnern.

Wir sind doch die Guten

Wer die Medien der letzten Jahre aufmerksam verfolgt hat, kennt das Muster: Wir sind die Guten. Wir stehen für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Wenn westliche Länder militärisch eingreifen oder sich in fremde Angelegenheiten einmischen, dann geschieht das angeblich aus moralischer Verantwortung. Nicht aus Eigennutz, versteht sich.

Dieses Selbstbild ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Viele westliche Staaten haben tatsächlich funktionierende demokratische Institutionen. Es gibt Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und eine vermeintlich freie Presse. Allerdings ist die freie Presse eher ein theoretisches Konstrukt, die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Soweit, so gut. Das Problem beginnt jedoch, wenn man den Blick nach aussen richtet. Dann wird schnell klar: Was im Inneren gepredigt wird, gilt für die Aussenpolitik nicht unbedingt. Besonders absurd wird es, wenn sich westliche Politiker über russische Wahleinmischung empören, während ihre eigenen Regierungen seit Jahrzehnten Regime stürzen und Wahlen manipulieren. Der Unterschied liegt nur in der Etikettierung: Was andere als Einmischung betreiben, nennt der Westen „Demokratieförderung“.

Nach 1945 bauten die USA und ihre Verbündeten systematisch eine Weltordnung auf, die ihren Interessen diente. Zunächst war der Kommunismus der grosse Feind, später wurden Menschenrechte und Demokratie zu den neuen Rechtfertigungen. In Wahrheit ging es meist um Rohstoffe, Märkte und geopolitische Kontrolle. Schauen wir uns die Fakten an.

Wer zählt zum Westen?

Der Begriff „Westen“ klingt geografisch eindeutig, ist aber in Wahrheit ein politisches Konstrukt. Nach 1945 entstanden, umfasste er zunächst die USA, Kanada und Westeuropa. Später kamen Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland dazu. Heute sprechen wir meist von der EU, NATO oder G7, wenn wir „den Westen“ meinen. Was diese Länder verbindet, ist weniger die Lage auf der Landkarte als eine gemeinsame ideologische Ausrichtung. Man versteht sich als „freie Welt“, als Verfechter von Demokratie und Marktwirtschaft. Soweit die Theorie.

Flexible Bündnispartner

Die Praxis sah schon im Kalten Krieg anders aus. Entscheidend war nicht, ob ein Land demokratisch war, sondern ob es antikommunistisch war. Saudi-Arabien, eine absolute Monarchie ohne jede politische Mitbestimmung, galt stets als enger Verbündeter. Warum? Weil das Königreich zuverlässig Öl lieferte und gegen die Sowjetunion Stellung bezog. Ähnlich verhielt es sich mit Militärdiktaturen in Lateinamerika. Solange sie als Bollwerk gegen linke Bewegungen dienten, wurden sie hofiert. Der Schah im Iran, Marcos auf den Philippinen, Pinochet in Chile – sie alle genossen westliche Unterstützung, obwohl ihre Regime brutal und autoritär waren.

Grenzfälle: Israel und die Türkei

Interessant sind Länder wie Israel und die Türkei. Israel wird trotz seiner Lage im Nahen Osten klar zum Westen gezählt. Die enge Bindung an die USA und die demokratischen Strukturen sprechen dafür – wobei die Behandlung der Palästinenser diese Zuordnung durchaus fragwürdig macht.

Die Türkei ist NATO-Mitglied und damit formal Teil des westlichen Sicherheitssystems. Unter Erdogan entfernt sich das Land aber immer weiter von demokratischen Standards. Trotzdem bleibt es ein wichtiger Partner, weil es die Verbindung zwischen Europa und Asien kontrolliert und als Puffer gegen Russland dient.

Das zeigt: Der Westen ist kein fester Club mit klaren Aufnahmekriterien. Es ist ein flexibles Konstrukt, das sich nach geopolitischen Interessen richtet. Wer die Mächtigen unterstützt, gehört dazu – egal, wie es um Demokratie und Menschenrechte bestellt ist.

Die USA und ihre Kriege

Kein Land hat die westliche Aussenpolitik seit 1945 so geprägt wie die USA. Sie sahen sich als Anführer der „freien Welt“ und als Bollwerk gegen den Kommunismus. Doch schon früh zeigte sich: Bei militärischen Interventionen ging es selten nur um edle Motive.

Korea und Vietnam: Die ersten grossen Lügen

Der Koreakrieg zu Beginn der 1950er Jahre wurde als Verteidigung der Freiheit dargestellt. Die Amerikaner waren der Meinung, dass sich die Zukunft der Demokratie in Asien entscheiden werde. Ähnlich funktionierte später die Rechtfertigung für den Vietnamkrieg. Die Domino-Theorie besagte, dass, wenn ein Land dem Kommunismus anheimfällt, die ganze Region folgt. Dieses Narrativ war entscheidend, um die eigene Bevölkerung bei der Stange zu halten. In Wahrheit ging es jedoch darum, den amerikanischen Einfluss in Asien zu sichern und der Sowjetunion zu zeigen, wer der Boss ist. Die Kosten waren immens. In Korea starben Millionen Menschen, in Vietnam noch mehr. Napalm und Agent Orange hinterliessen Spuren, die noch heute sichtbar sind. Dennoch hielten die USA an der Erzählung fest, sie kämpften für die Freiheit.

Irak 2003: Die perfekte Inszenierung

Nach dem Ende des Kalten Krieges änderte sich das Vokabular, nicht aber die Praxis. Der Irakkrieg 2003 ist das perfekte Beispiel. Offiziell ging es darum, Saddam Hussein zu entwaffnen, weil er angeblich über Massenvernichtungswaffen verfügte.

Colin Powell trat vor die UNO und schwenkte ein Röhrchen mit weissem Pulver. „Beweis“ für Saddams Giftgaslabore. Eine komplette Fälschung, wie sich später herausstellte. Aber die Show funktionierte. Die westlichen Medien machten bereitwillig mit, übernahmen die Regierungsversion weitgehend unkritisch und verwandelten sich von Watchdogs zu Schosshündchen der Macht. Kritische Stimmen gab es zwar, aber sie wurden systematisch an den Rand gedrängt oder gingen in der orchestrierten Flut offizieller Verlautbarungen unter.

Jahre später gaben die Verantwortlichen zu, dass der Krieg auf einer Lüge beruhte. Zu spät. Der Irak war zerstört, Hunderttausende tot, die Region destabilisiert.

Afghanistan: 20 Jahre für nichts

Auch Afghanistan zeigt das Muster. Nach dem 11. September marschierten die USA ein, angeblich um Terroristen zu jagen und Demokratie zu bringen. 20 Jahre später kehrten die Taliban an die Macht zurück. Mission erfüllt?

Allen diesen Kriegen ist eines gemeinsam: Sie wurden mit moralischen Motiven gerechtfertigt, dienten aber knallharten Interessen. Machtpolitik, Ressourcen, geopolitische Kontrolle – darum ging es wirklich. Die Geschichten von Freiheit und Demokratie waren für das heimische Publikum.

Die USA und ihre Regime-Change-Aktionen

Manchmal reichten Panzer und Bomben nicht. Oft genügten CIA, Geld und politische Manipulation, um unliebsame Regierungen loszuwerden. Die Liste verdeckter Operationen ist lang und entlarvend.

Iran 1953 – Operation Ajax

Mohammed Mossadegh war demokratisch gewählt und wollte die Ölindustrie verstaatlichen. Die Einnahmen sollten dem iranischen Volk zugutekommen, nicht britischen und amerikanischen Konzernen. Das war für London und Washington inakzeptabel. CIA und MI6 organisierten einen Putsch. Mossadegh wurde gestürzt, der Schah kam zurück an die Macht. Fortan regierte er autoritär, aber pro-westlich. Offiziell hiess es, man habe den Iran vor dem Kommunismus gerettet. In Wahrheit ging es um Öl.

Guatemala 1954 – United Fruit Company

Ein Jahr später das gleiche Spiel in Guatemala. Präsident Jacobo Árbenz kündigte eine Landreform an, die auch die Ländereien der United Fruit Company betraf. Ein US-Konzern sah seine Profite bedroht – das genügte für einen Regime-Change. Die CIA inszenierte einen Putsch. Árbenz musste ins Exil, Guatemala fiel für Jahrzehnte in eine Spirale aus Gewalt und Militärdiktatur. Auch hier lautete die offizielle Begründung: Kampf gegen den Kommunismus.

Chile 1973 – Der Demokratie-Export

Salvador Allende war demokratisch gewählt und verfolgte eine sozialistische Politik. Das missfiel Washington. Die CIA unterstützte Augusto Pinochets Militärputsch. Was folgte, war eine der blutigsten Diktaturen Lateinamerikas.

Hier wird die Perversität des westlichen „Demokratie-Exports“ besonders deutlich: Ein demokratisch gewählter Präsident wird gestürzt, damit ein Diktator an die Macht kommt. Zehntausende wurden verfolgt, gefoltert, ermordet. Aber Pinochet war pro-westlich – das zählte.

Indonesien 1965 – Das vergessene Massaker

In Indonesien half die CIA dabei, Sukarno zu stürzen. Was folgte, war eines der grössten Massaker des 20. Jahrhunderts. Bis zu einer Million Menschen wurden ermordet, die meisten von ihnen Kommunisten oder vermeintliche Sympathisanten. Der Westen schwieg. Suhartos neue Diktatur öffnete das Land für westliche Investoren und stellte sich gegen China. Das war wichtiger als eine Million Tote.

Nicaragua 1980er – Die Contras

In Nicaragua unterstützten die USA die Contras gegen die sandinistische Regierung. Ein schmutziger Krieg, finanziert durch illegale Waffengeschäfte. Der Iran-Contra-Skandal kam schliesslich ans Licht, aber der Schaden war angerichtet.

Das Muster ist immer gleich: Demokratische Prinzipien spielen keine Rolle. Entscheidend ist nur, ob eine Regierung pro-westlich ist oder nicht. Wer sich den Interessen der USA und ihrer Verbündeten widersetzt, wird beseitigt – egal, ob demokratisch gewählt oder nicht.

Die westlichen Sanktionen: Strafe nur für die anderen

Wirtschaftssanktionen gelten als „zivilisierte“ Alternative zum Krieg. Die Liste sanktionierter Länder ist lang: Russland, Iran, Venezuela, Nordkorea, Kuba, Syrien und viele andere. Die Begründungen sind stets dieselben: Menschenrechtsverletzungen, Bedrohung der internationalen Sicherheit, Verstösse gegen das Völkerrecht.

Selektive Gerechtigkeit

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein selektiver Ansatz. Saudi-Arabien führt einen verheerenden Krieg im Jemen, unterdrückt systematisch Frauen und Dissidenten, köpft regelmässig Menschen – aber Sanktionen? Fehlanzeige. Das Königreich ist strategischer Partner.

Der grosse Unterschied: Irak vs. Ukraine

Besonders deutlich wird die Doppelmoral beim Vergleich völkerrechtswidriger Kriege. Als Russland 2022 die Ukraine angriff, reagierte der Westen mit beispiellosen Sanktionen. Russische Oligarchen wurden weltweit verfolgt, ihre Vermögen eingefroren, ihre Yachten beschlagnahmt. Viele dieser Massnahmen trafen Menschen, die mit dem Krieg nichts zu tun hatten. Russische Staatsbürger wurden pauschal verdächtigt, nur weil sie den falschen Pass hatten.

Ganz anders 2003 beim Irak-Krieg. Die USA und ihre Verbündeten marschierten ohne UN-Mandat ein, basierend auf erwiesenermassen falschen Behauptungen. Dieser Angriffskrieg kostete Hunderttausende das Leben. Amerikanische „Oligarchen“ – die Spitzenverdiener der Rüstungsindustrie – wurden nicht sanktioniert. Ihre Geschäfte liefen prächtig.

Wer urteilt über wen?

Das zeigt: Sanktionen sind kein Instrument der Gerechtigkeit, sondern der Machtpolitik. Sie werden nicht aufgrund objektiver Kriterien verhängt, sondern nach geopolitischen Interessen. Problematisch ist auch, wer diese Sanktionen beschliesst. Es sind nicht internationale Gerichte oder neutrale Institutionen, sondern die westlichen Regierungen selbst. Sie sind Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person. Das widerspricht jedem rechtsstaatlichen Prinzip.

Die Schweiz gibt ihre Neutralität auf

Besonders bedenklich ist, dass sich neutrale Länder wie die Schweiz an diesem System beteiligen. Die Schweiz übernahm die EU-Sanktionen gegen Russland nahezu vollständig. Ein klarer Bruch mit der eigenen Tradition. Diese Entscheidung zeigt: Die proklamierte Neutralität weicht der Realität der westlichen Zugehörigkeit. Die Schweiz handelt nicht als unabhängiger Staat, sondern als Teil des westlichen Blocks – auch wenn sie das ungern zugibt. Warum tut sie das? Der Druck aus Washington und Brüssel war schlicht zu gross für einen Kleinstaat. Die Schweiz ist eben nicht die Türkei, die als grosses NATO-Mitglied mit strategischer Bedeutung gewisse Alleingänge wagen kann. Mit acht Millionen Einwohnern kann sich die kleine Schweiz keine eigenständige Politik leisten, wenn die Grossmächte Druck machen. Ihre Wirtschaft hängt vollständig am Wohlwollen der USA und EU. Hätte sie sich verweigert, wären die Konsequenzen verheerend gewesen: Sanktionen, Isolation, wirtschaftlicher Selbstmord. In der Machtpolitik haben kleine Länder keine Wahl.

NATO-Interventionen: Der militärische Arm der westlichen Moral

Die NATO entwickelte sich nach 1991 von einem Verteidigungsbündnis zu einem Instrument westlicher Machtprojektion. Wie ich bereits in einem früheren Beitrag ausführlich dargestellt habe (Die NATO-Interventionen: Eine kritische Betrachtung des Verteidigungsbündnisses), folgen NATO-Einsätze einem klaren Muster.

Humanitäre Begründungen, geostrategische Ziele

Jugoslawien, Libyen, Afghanistan – immer lautete die Begründung: humanitäre Krise, Schutz der Zivilbevölkerung, Kampf für Menschenrechte. Das Ergebnis waren meist destabilisierte Regionen und fragwürdige Erfolge bei den angeblichen Zielen. Die NATO wurde so zum militärischen Arm einer westlichen Aussenpolitik, die eigene Interessen mit universellen Werten legitimiert. Besonders perfide ist die Instrumentalisierung humanitärer Krisen. Wenn der Westen militärisch eingreifen will, finden sich stets Menschenrechtsverletzungen als Vorwand. Dass es solche Krisen auch in befreundeten Ländern gibt, ohne dass eingegriffen wird, zeigt die Selektivität. Die NATO schützt nicht Menschenrechte – sie schützt westliche Interessen.

Fazit: Der heuchlerische Westen

Die Faktenlage ist erdrückend. Von Iran 1953 über Chile 1973 bis Irak 2003 – immer wieder griff der Westen in fremde Länder ein, stürzte demokratisch gewählte Regierungen oder führte Kriege auf der Basis von Lügen. Gleichzeitig wurden befreundete Diktatoren unterstützt, solange sie den westlichen Interessen dienten.

Was wir hier sehen, ist nicht nur Machtpolitik – es ist institutionalisierte Heuchelei. Der Westen predigt Demokratie und praktiziert Imperialismus. Er spricht von Menschenrechten und unterstützt Diktatoren. Er empört sich über fremde Wahleinmischung und manipuliert selbst Wahlen und Regierungen auf der ganzen Welt.

Das Sanktionssystem funktioniert nach demselben heuchlerischen Prinzip: Bestraft wird nur, wer dem Westen schadet – nicht wer gegen universelle Regeln verstösst. Völkerrechtsbrüche sind nur dann verwerflich, wenn sie von den „Falschen“ begangen werden. Wenn die USA einen Angriffskrieg führen, ist das bedauerlich. Wenn Russland dasselbe tut, ist es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Selbst neutrale Länder wie die Schweiz werden in diese Heuchelei hineingezogen. Sie geben ihre Prinzipien auf, weil der Druck der westlichen Mächte zu gross ist. Die „regelbasierte internationale Ordnung“ entpuppt sich als System, in dem derjenige die Regeln macht, der die Macht hat.

Diese Doppelstandards sind kein Versehen. Sie sind das System. Der Westen hat eine Weltordnung geschaffen, in der er sich selbst die Rolle des moralischen Richters zuweist, während er gleichzeitig einer der grössten Rechtsbrecher ist. Das ist die Definition von Heuchelei.

Solange diese Heuchelei nicht benannt wird, bleibt die westliche Glaubwürdigkeit beschädigt. Wer anderen Moral predigt, sollte selbst moralisch handeln. Wer das nicht tut, ist ein Heuchler – und verdient es, als solcher bezeichnet zu werden.

Im zweiten Teil werden wir uns die strukturellen Grundlagen dieser westlichen Heuchelei anschauen: Wie der Westen auf Kosten anderer lebt, wie Medien die Bevölkerung manipulieren und wie der Ressourcenverbrauch die Umweltkrise anheizt. Die Interventionspolitik ist nur die Spitze des Eisbergs.

In der öffentlichen Wahrnehmung gilt die NATO als westliches Verteidigungsbündnis, das für demokratische Werte und Menschenrechte einsteht. Betrachtet man jedoch die Geschichte der Organisation und ihre tatsächlichen Aktivitäten, stellt sich die Frage, ob diese Darstellung der Realität entspricht. Eine ehrliche Analyse zeigt ein Bündnis, das primär geostrategische Interessen der USA verfolgt und wiederholt als Angriffsinstrument eingesetzt wurde.

Gründung und amerikanische Vormachtstellung

Die offizielle Gründungsgeschichte der NATO wird oft vereinfacht dargestellt. Eine aufschlussreichere Einschätzung ihrer ursprünglichen Funktion lieferte der erste NATO-Generalsekretär Hastings Lionel Ismay: Die Aufgabe der NATO sei es, „die Amerikaner drinnen, die Russen draussen und die Deutschen unten zu halten“.

Diese amerikanische Dominanz prägt die NATO-Strukturen bis heute:

  • Der wahre Befehlshaber: Während der Generalsekretär traditionell ein Europäer ist und das Bündnis nach aussen repräsentiert, liegt die eigentliche Macht beim amerikanischen Präsidenten.
  • Der SACEUR: Der Oberbefehlshaber der NATO in Europa (SACEUR) war seit 1951 ausnahmslos immer ein amerikanischer General – angefangen bei Dwight D. Eisenhower, der später US-Präsident wurde.

Die verdeckte Seite: NATO-Geheimarmeen

Neben der offiziellen Militärstruktur unterhielt die NATO jahrzehntelang geheime „Stay-Behind-Armeen“ in ganz Europa. Deren Existenz wurde 1990 durch die Aufdeckung der „Operation Gladio“ in Italien einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser dokumentierte, wie der italienische Premierminister Giulio Andreotti die Existenz dieser von CIA und MI6 aufgebauten Geheimarmee bestätigte.

Offiziell sollten diese Einheiten im Falle einer sowjetischen Invasion als Guerillatruppe agieren. Tatsächlich wurden sie jedoch auch innenpolitisch eingesetzt:

  • Terror zur Machtsicherung: In Italien, wo die kommunistische Partei stark war und ein NATO-Austritt befürchtet wurde, verübte die Gladio-Truppe Terroranschläge, die anschliessend fälschlicherweise linken Gruppen angelastet wurden.
  • Disziplinierung von Mitgliedern: Die Geheimarmeen dienten als Druckmittel, um NATO-kritische Länder auf Linie zu halten.

Das selbst proklamierte Wertebündnis

Die NATO bezeichnet sich in ihrem strategischen Konzept als Gemeinschaft, die auf „individueller Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ basiert. Die Praxis zeigt jedoch ein anderes Bild.

Anstatt Menschenrechte konsequent zu schützen, fungiert die NATO oft als Schutzschirm für Menschenrechtsverletzungen ihrer Mitgliedstaaten. Kriegsverbrechen bleiben meist straflos – ein Beispiel ist der Fall des Bundeswehrobersts Georg Klein, der 2009 die Bombardierung in Kundus, Afghanistan, befahl, bei der über hundert Zivilisten starben. Klein wurde nie zur Verantwortung gezogen, sondern später zum Brigadegeneral befördert.

Gleichzeitig werden Journalisten wie Julian Assange, die Kriegsverbrechen von NATO-Mitgliedern aufdecken, verfolgt. Die Menschenrechtslage in Mitglieds- oder Partnerländern spielt oft eine untergeordnete Rolle. Als in der Türkei nach dem Militärputsch 1980 Hunderttausende verhaftet und gefoltert wurden, stellte niemand die NATO-Mitgliedschaft infrage.

Besonders bezeichnend für diese Haltung ist die Entscheidung, den NATO-Gipfel 2025 in der Türkei abzuhalten – zum ersten Mal in einem zunehmend autoritär regierten Mitgliedsland. Während jahrelang Widerstand gegen diese Entscheidung bestand, verstummte die Kritik plötzlich. Präsident Erdogan hat systematisch Oppositionelle abserviert und das Land auf den demokratischen Tiefststand seit Ende der Militärdiktatur geführt. Doch aus NATO-Sicht zählen andere Faktoren: Die Türkei liefert Drohnen an die Ukraine, kontrolliert den Bosporus und verfügt über grosse Streitkräfte. Realpolitik kommt vor Moralpolitik – das erklärt nicht nur diese Gipfelentscheidung, sondern die gesamte NATO-Logik.


Quelle: SRF, Echo der Zeit vom 12.07.2025 – Auf Demokratie kommt es nicht mehr an

Die Türkei steht als undemokratischer „Sündenfall“ im Bündnis nicht mehr alleine da. Auch Ungarn und die Slowakei bewegen sich Richtung autoritäre Herrschaft. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, wie sich das mit der Glaubwürdigkeit der NATO als „Allianz demokratischer Staaten“ vertragen soll. Offenkundig kommt es darauf nicht mehr an.

Die Interventionen: Eine Bilanz

Interessant ist, dass keine der kriegerischen Auseinandersetzungen, an denen die NATO beteiligt war, ein Verteidigungsfall im Sinne des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags war. Ein gemeinsames Muster zeigt sich durch nahezu alle Interventionen: Ein fundamentales Unverständnis für die komplexen Realitäten der Länder, in denen operiert wurde.

Jugoslawien (1999)

Der erste NATO-Krieg war der Angriff auf Serbien. Er war weder ein Verteidigungsfall noch von den Vereinten Nationen autorisiert. Selbst der damals beteiligte deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder gab später zu, dass die Bombardierung eines souveränen Staates ohne UN-Sicherheitsratsbeschluss ein klarer Bruch des Völkerrechts war.

Afghanistan (2001-2021)

Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 riefen die USA erstmals in der NATO-Geschichte den Bündnisfall nach Artikel 5 aus. Da der Angriff jedoch nicht von einem Staat, sondern von einer Terrororganisation ausging, bewerten viele Kritiker diese Ausrufung als konstruierten Anlass für eine umfassende geopolitische Operation.

Die Intervention endete im August 2021 mit einem chaotischen Abzug. Die afghanische Armee und Regierung kollabierten innerhalb weniger Tage, die Taliban übernahmen wieder die Macht. Heute befindet sich Afghanistan in einer katastrophalen humanitären Krise. Die Ziele der Intervention – Demokratie, Stabilität und die Beseitigung des Terrorismus – wurden vollständig verfehlt.

Irak (2003-2011)

Obwohl kein offizieller NATO-Krieg, wurde die völkerrechtswidrige Invasion von einer „Koalition der Willigen“ unter US-Führung durchgeführt, die fast ausschliesslich aus NATO-Mitgliedern bestand. Die offiziellen Kriegsgründe stellten sich als nachweislich falsch heraus.

Das entstandene Machtvakuum war der direkte Nährboden für den Aufstieg der Terrororganisation „Islamischer Staat“. Heute leidet der Irak weiterhin unter chronischer Instabilität, grassierender Korruption und tiefen sektiererischen Spannungen.

Libyen (2011)

Unter dem Vorwand der UN-Resolution 1973 startete die NATO Luftangriffe in Libyen. Dieses Mandat wurde jedoch schnell überdehnt und für einen aktiven Regimewechsel instrumentalisiert. Nach Gaddafis Tod beendete die NATO ihre Operation abrupt, ohne einen Plan für die Stabilisierung zu haben.

Die Intervention stürzte Libyen in einen vollständigen Staatszerfall. Das Land wurde zum Zentrum für Waffenschmuggel, Terrorismus und Menschenhandel. Bis heute ist Libyen ein gescheiterter Staat ohne stabile Zentralregierung.

Die NATO-Osterweiterung: Gebrochene Versprechen?

Ein weiterer kritischer Aspekt ist die NATO-Osterweiterung seit 1990. Während westliche Politiker heute bestreiten, dass der Sowjetunion Zusicherungen über eine Nicht-Erweiterung gegeben wurden, zeigen historische Dokumente ein anderes Bild. Der damalige US-Aussenminister James Baker versicherte seinem sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse, die NATO werde sich „keinen Zoll weiter nach Osten“ bewegen.

Dennoch erweiterte sich die NATO in fünf Wellen: 1999 um Polen, Tschechien und Ungarn, 2004 um sieben weitere osteuropäische Länder, 2009 um Albanien und Kroatien, 2017 um Montenegro und 2020 um Nordmazedonien. Diese Expansion wird von Kritikern als Provokation Russlands interpretiert, die zur heutigen Konfrontation beigetragen hat.

Wirtschaftliche Dimension: Der Rüstungskomplex

Die NATO ist nicht nur ein Militärbündnis, sondern auch ein lukrativer Markt für die Rüstungsindustrie. Die Verpflichtung der Mitgliedsländer, mindestens zwei Prozent des BIP für Verteidigung auszugeben, garantiert einen Mindestmarkt von über 400 Milliarden Dollar jährlich. Interessant ist, dass oft amerikanische Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin oder Raytheon von europäischen Rüstungskäufen profitieren.

Die geplante Erhöhung auf fünf Prozent bis 2035 würde diesen Markt mehr als verdoppeln. Allein für Deutschland bedeutete dies Ausgaben von über 200 Milliarden Euro jährlich – eine Summe, die andere gesellschaftliche Investitionen konkurrenziert.

Mediale Darstellung und selektive Wahrnehmung

In der westlichen Berichterstattung wird oft das Bild Wladimir Putins als unberechenbarer Aggressor gezeichnet, wobei jede seiner Handlungen in den Kontext seiner politischen Vergangenheit gestellt wird. Diese analytische Tiefe fehlt jedoch auffallend bei der Bewertung der NATO. Die völkerrechtswidrigen Kriege und gebrochenen Versprechen des Bündnisses scheinen in der tagesaktuellen Debatte kaum eine Rolle zu spielen.

Diese selektive Amnesie ist ein wirkungsvolles Werkzeug der Meinungsbildung. Indem die Vergangenheit der einen Seite permanent hervorgehoben und die der anderen ausgeblendet wird, entsteht ein verzerrtes Bild von Angreifer und Verteidiger.

Perspektive des globalen Südens

Viele Länder des globalen Südens betrachten die NATO nicht als Verteidigungsbündnis, sondern als Werkzeug westlicher Machtpolitik. Sie verweisen darauf, dass militärische Interventionen oft Chaos und Destabilisierung hinterliessen, während die Verantwortlichen straflos blieben.

Die NATO-Erzählung vom „Schutz der Demokratie“ wird in vielen Regionen als neokoloniale Rhetorik wahrgenommen. Der ungleiche Umgang des Internationalen Strafgerichtshofs, der fast ausschliesslich afrikanische Staaten verfolgte, verstärkt den Eindruck westlicher Doppelmoral. Deshalb suchen viele Staaten heute bewusst nach Alternativen zu westlich dominierten Strukturen.

Mögliche Gegenargumente

Fairerweise müssen auch die Argumente der NATO-Befürworter erwähnt werden. Sie verweisen auf:

  • Die Rolle als Stabilitätsanker nach dem Zweiten Weltkrieg
  • Die erfolgreiche Abschreckung während des Kalten Krieges
  • Den Schutz kleinerer europäischer Staaten vor Grossmachtambitionen
  • Humanitäre Interventionen wie den Einsatz gegen Völkermord
  • Die demokratische Kontrolle durch gewählte Regierungen der Mitgliedsländer

Diese Argumente verdienen eine ernsthafte Betrachtung, auch wenn sie die kritischen Punkte nicht entkräften.

Alternative Sicherheitsarchitekturen

Die Frage nach Alternativen zur NATO ist berechtigt. Modelle wie die schweizerische bewaffnete Neutralität zeigen, dass Sicherheit auch ohne Militärbündnisse möglich ist. Eine europäische Sicherheitsarchitektur unter Einschluss Russlands, wie sie einst mit der OSZE angestrebt wurde, könnte stabiler sein als die heutige Blockkonfrontation.

Länder wie Österreich, Irland oder Finnland (vor 2023) demonstrierten jahrzehntelang, dass Neutralität und Wohlstand vereinbar sind. Die Schweiz führt dies seit über 200 Jahren erfolgreich vor.

Fazit: Machtinstrument statt Verteidigungsbündnis

Die Analyse zeigt: Die NATO funktioniert weniger als Verteidigungsbündnis denn als Instrument zur Durchsetzung von Machtinteressen. Dabei geht es um die globale Hegemonie der USA und um erhebliche Profite für die Rüstungsindustrie.

Die Geschichte der NATO-Interventionen zeigt ein Muster gescheiterter Staatsbildung und langfristiger Destabilisierung. Anstatt Frieden zu sichern, war die NATO wiederholt Aggressor. Es ist an der Zeit, die Legenden zu hinterfragen und eine ehrliche Debatte darüber zu führen, ob dieses Bündnis nicht durch eine echte europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur ersetzt werden sollte.

Eine solche Debatte ist besonders für neutrale Länder wie die Schweiz relevant, die ihre Traditionen der Vermittlung und des konstruktiven Dialogs als Alternative zur militärischen Blockkonfrontation einbringen könnten.

In meinem letzten Beitrag habe ich über Meinungsmache und Lückenpresse geschrieben. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Fakt ist: Die Art, wie wir uns heute informieren, hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Schauen wir uns die Gründe für diesen Niedergang einmal genauer an.

Die technologische Revolution: Vom Informationsmonopol zur Informationsflut

Erinnern Sie sich noch? Vor nicht allzu langer Zeit hatten Journalisten praktisch das Monopol auf Nachrichten. Sie waren die Gatekeeper, die entschieden, was auf die Titelseite kam und was im Papierkorb landete. Man vertraute darauf, dass sie ihre Auswahl verantwortungsbewusst trafen, und die Presse galt als glaubwürdige Instanz.

Wer damals seine Meinung kundtun wollte, schrieb einen Leserbrief, der vielleicht Tage später (oder nie) gedruckt wurde. Ich selbst erinnere mich an Reisen in die USA in jungen Jahren: In den Parks von New York standen Menschen auf kleinen Holzkisten und hielten flammende Reden über Politik und die Welt. Ein direkter, aber eben auch sehr begrenzter Austausch.

Heute? Ein völlig anderes Bild. Plattformen wie YouTube, TikTok oder X haben die Schleusen geöffnet. Jeder kann mit einem Smartphone zum Sender werden und potenziell ein globales Publikum erreichen. Das Ergebnis ist eine gigantische Informationsflut, in der Lautstärke und Emotion oft mehr zählen als Relevanz.

Man darf sich aber nichts vormachen: Auch wenn eine Story heute auf Social Media explodiert, sind es am Ende doch meist die etablierten Medien, die ihr die grosse Bühne geben. Sie bestimmen immer noch massgeblich, was zur landesweiten Debatte wird. Eine Nachricht mag also im Netz entstehen, doch erst die Mainstream-Medien geben ihr die grosse Reichweite und öffentliche Aufmerksamkeit. So entstehen Parallelwelten, in denen Fakten, Meinungen und Gerüchte nebeneinander existieren, ohne klare Hierarchie. Der Journalist ist vom alleinigen Torwächter zum Bediener des grössten Scheinwerfers geworden.

Der Würgegriff von Algorithmen und KI

Soziale Medien haben die Spielregeln komplett neu geschrieben. Nicht mehr der Chefredakteur, sondern ein Algorithmus bei Facebook oder TikTok entscheidet, was wir sehen. Und was lieben diese Algorithmen? Emotional aufgeladene Posts, denn die bringen Klicks und Reaktionen. Nüchterne Berichterstattung hat da kaum eine Chance. Also passen sich viele klassische Medien an, werden lauter und dramatischer, nur um relevant zu bleiben.

Dazu kommt jetzt noch die Künstliche Intelligenz. Eine Google-Suche liefert heute oft eine fertige Zusammenfassung, sodass man die eigentliche Nachrichtenseite gar nicht mehr besuchen muss. Für die Online-Medien bedeutet das: noch weniger Besucher, noch weniger Werbeeinnahmen. Gleichzeitig kann KI nicht immer zwischen geprüften Fakten und ungesicherten Informationen unterscheiden. So kämpfen die Medien nicht nur gegen Influencer, sondern auch gegen intelligente Maschinen um die Deutungshoheit.

Die verzweifelte Antwort: Wie Medienkonzerne auf den Wandel reagierten

Wie haben die etablierten Medien auf diese technologische Revolution reagiert? Meistens schlecht, würde ich sagen. Statt innovative Lösungen zu finden, verfiel die Branche in einen Panikmodus aus Kostensenkung und inhaltlicher Anpassung an die neuen Spielregeln.

Hand aufs Herz: Guter Journalismus kostet Geld. Besonders investigativer Journalismus, der Missstände aufdeckt, braucht Zeit, Erfahrung und Ressourcen. Doch genau hier wird der Rotstift angesetzt. Die Werbegelder, die früher Zeitungen finanzierten, fliessen heute direkt zu Google und Meta. Um die verbliebenen Krümel des Werbekuchens abzubekommen, jagen viele Verlage verzweifelt nach Klicks.

Die Folge? Statt teurer Reporter greift man lieber auf billige Agenturmeldungen zurück. Sensationelle Schlagzeilen und emotional gefärbte Berichte versprechen mehr Traffic als sorgfältige Recherche. Social Media verstärken diesen Trend noch, da dort nur die Beiträge sichtbar werden, die starke Reaktionen auslösen. Empörung, Wut oder Angst sorgen für mehr Interaktionen als nüchterne Analysen.

Je emotionaler und polarisierender ein Beitrag ist, desto weiter verbreitet er sich in den Netzwerken. Dadurch entsteht für Redaktionen ein Anreiz, Inhalte zuzuspitzen und Konflikte zu betonen. So verlagert sich der Journalismus von gründlicher Recherche hin zur schnellen Erregung.

Schweizer Scheinvielfalt: Drei Konzerne, eine Meinung

Was auf den ersten Blick wie Vielfalt aussieht, ist oft nur eine Illusion. In der Schweiz etwa stecken hinter Dutzenden Titeln wie NZZ, Tages-Anzeiger oder Blick nur drei grosse Verlagshäuser: TX Group, Ringier und CH Media. Dazu kommt die staatsnahe SRG im Hörfunk und Fernsehen.

Diese Medienkonzentration führt zu einem homogenen Journalismus, bei dem die Beiträge zentral produziert und über verschiedene Kanäle fast identisch ausgespielt werden. Vielfalt als Marke, nicht als Inhalt – ein echtes Problem für die Meinungsbildung.

Der grosse Einheitsbrei: Wenn alle von denselben abschreiben

Die vier grossen Agenturen – Reuters, AP, AFP und DPA – beliefern praktisch alle internationalen Redaktionen. Bei der Ukraine-Berichterstattung stammten teils 80 bis 100 Prozent der Inhalte aus genau diesen Quellen, ohne eigene Recherche. Die ehemaligen Auslandskorrespondenten der grossen Redaktionen? Grösstenteils nur noch Erinnerung.

Der Einheitsbrei ist die logische Folge. Ob man die NZZ, die Tagesschau oder 20 Minuten liest – man erlebt fast dieselben Schlagzeilen und fast dieselbe Perspektive. Diese Homogenisierung ist für eine pluralistische Medienlandschaft verheerend.

Die Journalisten-Blase: Zwischen prekär und parteiisch

Hier wird es richtig interessant: Journalisten bewegen sich oft in denselben sozialen und politischen Kreisen wie Politiker, Spitzenbeamte oder Vertreter grosser NGOs. Man trifft sich bei Podiumsdiskussionen, bei Empfängen oder auf internationalen Konferenzen. Diese Nähe schafft zwar Zugang zu Informationen, aber sie hat einen hohen Preis: Die kritische Distanz geht verloren.

Wer sich regelmässig im gleichen Umfeld bewegt, übernimmt leichter dessen Perspektiven und Sprachmuster. So entstehen unbewusst ähnliche Weltbilder, in denen bestimmte Narrative als selbstverständlich gelten und andere gar nicht erst vorkommen. Mit der Zeit verengt sich der Meinungskorridor, weil alternative Sichtweisen als exotisch oder extrem wahrgenommen werden.

Gleichzeitig zerfällt das Fundament des Berufsstands von innen. Das Ansehen von Journalisten ist laut Umfragen im Keller, die Bezahlung oft mager und die Jobsicherheit durch Zeitverträge quasi nicht existent. Viele arbeiten unter prekären Bedingungen, oft in freier Mitarbeit ohne langfristige Perspektive. Das macht den Beruf für Talente wenig attraktiv und verstärkt den Trend zur oberflächlichen Berichterstattung.

Die Digitalisierung hat den Arbeitsdruck zusätzlich verschärft. Früher hatten Redaktionen klare Abgabefristen für Printausgaben oder Nachrichtensendungen, heute verlangt der Online-Betrieb ständige Aktualisierungen. Meldungen müssen im Minutentakt erscheinen, damit die Website Klicks generiert und in Suchmaschinen sichtbar bleibt. Unter diesem Zeitdruck bleibt kaum Raum für gründliche Recherche.

Selbstzensur: Wenn Karriere vor Wahrheit geht

Selbstzensur und Opportunismus sind längst weit verbreitet, auch wenn sie selten offen zugegeben werden. Viele Redaktionen reagieren empfindlich auf öffentlichen Druck. Wer als Journalist allzu stark von der Mehrheitsmeinung abweicht, riskiert nicht nur Kritik, sondern auch den Verlust von Karrierechancen.

Während der Corona-Pandemie war dieses Phänomen besonders deutlich. Kritiker der Lockdown-Politik oder der Impfpflicht wurden in vielen Medien vorschnell als Verschwörungstheoretiker oder Schwurbler abgewertet, statt dass man ihre Argumente sachlich geprüft hätte. Kaum eine Redaktion wollte in den Verdacht geraten, die Massnahmen der Regierung infrage zu stellen.

Ähnlich zeigte sich das beim Ukraine-Krieg. Wer die westliche Politik kritisch betrachtete oder auf Versäumnisse der NATO hinwies, lief Gefahr, sofort als Putin-Versteher abgestempelt zu werden. Solche Mechanismen führen dazu, dass Journalisten nicht nur aus Angst vor öffentlicher Kritik zurückhaltend sind, sondern auch aus purem Opportunismus. Es ist schlicht bequemer, sich der Mehrheitsmeinung anzuschliessen, als gegen den Strom zu schwimmen.

Politik vor Bürgermeinung

Bei der Berichterstattung fällt auf, dass nicht die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, sondern die politische Mehrheitsmeinung dominiert. Besonders beim Ukraine-Krieg wirkten viele grosse Medien wie Verstärker der Regierungslinie. Ob diese Darstellung tatsächlich die Haltung der Bürger widerspiegelt, bleibt fraglich. Kritische oder differenzierte Stimmen kamen kaum vor und wurden oft in eine Aussenseiterrolle gedrängt.

Für viele Zuschauer entsteht so der Eindruck einer verzerrten Berichterstattung. Manche wenden sich enttäuscht von den etablierten Medien ab und suchen alternative Quellen. Auch ich frage mich zunehmend, warum ich für eine solche einseitige Darstellung überhaupt noch bezahlen sollte.

Talkshows als Schauprozess

Bei vielen Talkrunden im ZDF oder der ARD fällt auf, dass die Auswahl der Gäste oft einseitig ist. Häufig sitzen vier oder fünf Personen auf dem Podium, von denen drei oder vier die politische Mehrheitsmeinung vertreten. Der einzelne Gast mit einer abweichenden Position wird dadurch automatisch in die Defensive gedrängt.

Besonders während der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs war dieses Muster häufig zu beobachten. Wer nicht auf Regierungslinie argumentierte, wurde schnell in die Ecke der Schwurbler oder Putin-Versteher gestellt. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Interviews mit Politikern. Kommt der Gesprächspartner aus einer Partei wie der AfD, ist der Ton der Moderatoren deutlich härter als bei Gästen aus der CDU oder der SPD. Diese unterschiedliche Behandlung vermittelt den Eindruck mangelnder Ausgewogenheit.

Die wahren Experten schlagen zurück

Hier wird es paradox: Dank der technologischen Entwicklung können heute nicht nur Journalisten ein grosses Publikum erreichen. Wissenschaftler, Ärzte, Juristen oder ehemalige Diplomaten veröffentlichen ihre Analysen direkt über Blogs, Podcasts oder soziale Medien. Oft haben diese Experten einen viel besseren Einblick in komplexe Themen, da sie geografisch oder beruflich näher an den Ereignissen sind als eine Redaktion in Zürich, Berlin oder Wien.

Früher waren sie darauf angewiesen, dass ein Journalist ihre Einschätzungen aufgreift und veröffentlicht. Heute können sie ihre Sicht der Dinge unabhängig und in voller Länge darstellen. Dadurch sind viele Leser und Zuschauer nicht mehr nur auf die klassische Berichterstattung angewiesen.

Besonders in Krisen wie der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg haben sich einige Fachleute mit präzisen Analysen einen Namen gemacht, während grosse Medien oft hinterherhinkten oder vereinfachten. Das Publikum erkennt, dass wahre Expertise manchmal wertvoller ist als die Meinung eines Kommentators im Feuilleton. Dadurch entsteht für den Journalismus eine neue Konkurrenz um Glaubwürdigkeit und Relevanz. Wer nur Schlagzeilen liefert, verliert gegen jemanden, der tiefes Wissen und nachvollziehbare Argumente bietet.

Fazit: Ein System im freien Fall

Der Journalismus ist heute ein Gefangener seiner selbst. Viele Redaktionen stecken in einer Abwärtsspirale, aus der sie kaum herausfinden. Wenn Medien über Jahre hinweg einseitig berichten, bemerken das immer mehr Konsumenten. Sie wenden sich von den etablierten Kanälen ab, weil sie das Vertrauen in deren Unabhängigkeit verlieren.

Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, ist auch nicht mehr bereit, für deren Inhalte zu zahlen. Sinkende Einnahmen führen zu weiteren Sparrunden, wodurch noch weniger Ressourcen für kritische Recherche und investigative Arbeit übrig bleiben. Stattdessen wächst die Abhängigkeit von Nachrichtenagenturen und vorgefertigten Meldungen, die alle gleich klingen.

Doch eine Halbwahrheit wird nicht wahrer, nur weil sie von vielen Medien gleichzeitig verbreitet wird. Einige Menschen erkennen dies und suchen gezielt nach alternativen Informationsquellen. Andere wiederum ziehen sich aus der öffentlichen Debatte zurück, da sie das Gefühl haben, ohnehin keine objektiven Informationen mehr zu erhalten.

So verliert der Journalismus sein Publikum und seine gesellschaftliche Rolle als vierte Gewalt. Wer keine Vielfalt mehr bietet, darf sich nicht wundern, wenn sich Leser und Zuschauer abwenden. Je stärker die Kritik an den Mainstream-Medien wächst, desto defensiver reagieren viele Redaktionen und desto enger wird oft ihr Meinungskorridor.

Die Digitalisierung hat das alte Geschäftsmodell zerstört und das Informationsmonopol der Presse gebrochen. Sinkende Einnahmen führten zu Sparmassnahmen, zu weniger investigativer Recherche und zu einer wachsenden Abhängigkeit von Agenturen und zentralen Quellen. Damit ging die Rolle der vierten Gewalt verloren, die Politik und Macht kritisch hinterfragen sollte.

Stattdessen zeigen sich enge Verflechtungen zwischen Journalisten, politischen Akteuren und grossen Netzwerken, die den Meinungskorridor verengen. Hinzu kommt die sichtbare politische Schlagseite vieler Redaktionen, deren Mitglieder überwiegend dem linken Spektrum angehören und konservative Perspektiven oft nur eingeschränkt zu Wort kommen lassen.

Diese Homogenität verstärkt den Eindruck, dass Medien nicht mehr unabhängig berichten, sondern vor allem eine politische Mehrheitsmeinung absichern. Das Publikum bemerkt diese Einseitigkeit und wendet sich zunehmend alternativen Informationsquellen zu. Dadurch geraten die etablierten Medien finanziell noch stärker unter Druck, was den Teufelskreis aus Sparmassnahmen, einseitiger Berichterstattung und Vertrauensverlust weiter antreibt.

Ich persönlich bin kaum noch bereit, neben den obligatorischen Beträgen zusätzlich für solchen Journalismus zu zahlen. Dieser Sensationsjournalismus ist mir keinen Pfennig wert, denn er kostet mich wertvolle Lebenszeit.

So verstärkt sich der Niedergang eines Berufsstandes, der einst als Garant für Demokratie und Meinungsvielfalt galt. Ohne eine Rückbesinnung auf Unabhängigkeit, Vielfalt und kritische Distanz droht der Journalismus seine gesellschaftliche Relevanz endgültig zu verlieren. Die Branche täte gut daran, diese Warnsignale ernst zu nehmen, bevor es endgültig zu spät ist.

Was war die Motivation, diesen Text zu verfassen?

  • Im zweiten Jahr der Corona-Pandemie war ich oft enttäuscht von der einseitigen Berichterstattung unserer Medien. Vor diesem Zeitpunkt habe ich, wenn es die Zeit zuliess, oft „Echo der Zeit” von Radio SRF gehört. Irgendwann habe ich das Radio einfach ausgeschaltet, wenn der Beitrag zum wiederholten Mal das Thema Corona beinhaltete. Das Gleiche geschah dann auch beim Ukraine-Krieg. Dabei hat die Berichterstattung im „Echo der Zeit” noch ein gewisses Niveau. Die Schlagzeilen im Online-Blick waren sowohl während der Pandemie und insbesondere während des Ukraine-Kriegs so spekulativ und falsch. Gemäss dem Blick müsste Putin schon längst an einer Krankheit gestorben sein und das Waffenarsenal müsste schon längst erschöpft sein. Zudem wäre der wirtschaftliche Untergang schon längst Tatsache. Nichts davon ist bisher eingetroffen. Ich frage mich manchmal, ob sich die Journalisten für ihre Fehlleistungen nicht schämen.
  • Ich selbst bin in den sozialen Medien kaum aktiv, doch die Kommentarspalten der Online-Medien überfliege ich regelmässig. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie sehr die dort geführten Diskussionen den Einfluss der Berichterstattung widerspiegeln. Bestimmte Artikel ziehen fast ausschliesslich ein homogenes Publikum an, das jede abweichende Meinung sofort abwehrt. Wer es wagt, eine Gegenposition einzunehmen, wird nicht mit Argumenten, sondern mit Etiketten wie „Schwurbler” oder „Putin-Versteher” abgestempelt. So entsteht kein echter Austausch, sondern ein Klima der Abgrenzung. Gerade die Orte, die eigentlich einen offenen Dialog ermöglichen könnten, bestätigen nur die vorherrschende Meinung. Dieses Verhalten ist keine Zufallserscheinung, sondern eine Folge der Art und Weise, wie viele Medien ihre Themen aufbereiten und welche Wertungen sie bereits in der Darstellung mitliefern.
  • Was ich als schlechte Tugend unserer Medien erachte, ist das Framing. Damit kommt oft schon eine Wertung daher, die möglicherweise völlig falsch ist.

Anhand dreier Beispiele soll im Folgenden die Dysfunktion der Medien aufgezeigt werden. Während der Corona-Pandemie fungierten sie als Erfüllungsgehilfen der Politiker:innen, im Ukraine-Krieg dominierte eine westlich gefärbte Sichtweise und der US-Wahlkampf 2024 war geprägt von Wunschdenken statt Realität. Es sei darauf hingewiesen, dass die vorliegende Meinung zu den betreffenden Themen von sekundärer Relevanz ist. Fest steht jedoch, dass die Berichterstattung nicht mehr als ausgewogen zu bezeichnen ist. In der vorliegenden Abhandlung sollen die Ursachen für den signifikanten Niedergang des Journalismus nur am Rande erörtert werden.

Vom Reporter zum Meinungsmacher

Natürlich verklärt die Erinnerung manches, doch der Journalismus hat sich in den letzten Jahrzehnten spürbar verändert. Früher war es selbstverständlich, dass Reporter vor Ort recherchierten, sich mit Menschen trafen und sich ein eigenes Bild machten. Heute entsteht vieles aus dem Büro heraus – gespeist von Agenturmeldungen, Social Media und Pressestatements. Auch die klare Trennung von Nachricht und Kommentar, die einst ein Grundpfeiler journalistischer Arbeit war, verschwimmt zunehmend: Wertungen und Haltungen mischen sich in die Darstellung von Fakten. Statt nüchterner Information dominiert Meinungsmache, die den Lesern oft vorgibt, was sie zu denken haben. Hinzu kommt der ökonomische Druck, Reichweite und Klickzahlen in den Vordergrund zu stellen. Das führt zu Zuspitzung und Emotionalisierung sowie zur Jagd nach Empörung, da sich diese besser verkauft als nüchterne Analyse. Dadurch hat die Vielfalt an Perspektiven abgenommen – nicht nur, weil viele Verlage fusionierten, sondern auch, weil sich Journalisten gegenseitig stark aneinander orientieren und so ähnliche Sichtweisen verbreiten. Schnelligkeit ersetzt Gründlichkeit: Meldungen müssen sofort online sein, auch wenn Hintergrund und Kontext fehlen. Dabei werden Themen stärker auf Personen zugespitzt, anstatt komplexe Zusammenhänge differenziert darzustellen. Durch Social Media hat sich dieser Trend noch verstärkt: Journalisten reagieren auf Shitstorms und übernehmen Impulse aus Trends, anstatt eigenständig Themen zu setzen. All dies hat das Vertrauen in die Medien erodieren lassen, da die Leserschaft die Medien weniger als unabhängige Beobachter, sondern vielmehr als Akteure mit einer Agenda wahrnimmt. Früher konnten Redaktionen noch stärker bestimmen, was als wichtig galt – heute sind sie von Algorithmen und Stimmungen im Netz getrieben. Der Journalismus ist dadurch schneller, lauter und meinungsfreudiger geworden, aber auch oberflächlicher, homogener und weniger verlässlich.

Framing – Wie Worte Wirklichkeit schaffen

Framing gehört zu den subtilsten, aber auch gefährlichsten Methoden moderner Medien. Gemeint ist die bewusste Rahmung von Ereignissen oder Personen durch bestimmte Begriffe, die beim Publikum sofort bestimmte Emotionen oder Wertungen hervorrufen. Die Kommunikationswissenschaft hat diesen Effekt vielfach untersucht und dabei festgestellt, dass die Wortwahl den Blickwinkel der Rezipienten prägt, ohne dass ihnen dies immer bewusst ist. Gerade deshalb halte ich Framing für hochproblematisch. Ein Beispiel ist der Begriff „prorussische Separatisten“. Er wird fast ausschliesslich so verwendet, obwohl es sich dabei um Ukrainer handelt, die andere politische Vorstellungen haben. Durch das Framing werden sie sprachlich aus ihrer nationalen Identität herausgelöst. Ähnlich verhält es sich bei Giorgia Meloni. Über einen längeren Zeitraum hinweg wurde sie in vielen Medien fast automatisch als „postfaschistisch“ bezeichnet. Dadurch wurde jede politische Diskussion von vornherein durch einen historischen Makel belastet. Im Fall des Krieges in der Ukraine ist der Ausdruck „brutaler Angriffskrieg” ein weiteres Beispiel. Natürlich handelt es sich um einen Krieg mit grossen Opfern, doch der Begriff „brutal” setzt eine Bewertung voraus, die eher an den Vietnamkrieg oder ähnliche Massaker erinnert. Hier wird durch Sprache Emotionalität erzeugt, die eine sachliche Analyse erschwert. Interessant ist, dass bei Bundeskanzler Merz ein gegenteiliges Muster zu beobachten ist: Obwohl er mit seiner Schuldenbremse falsche Versprechen gemacht hat, würde man ihn kaum als „Lügenkanzler“ bezeichnen. Doch diese Form des Framings wird von den Medien kaum aufgegriffen. Das zeigt, dass Framing selektiv angewendet wird – je nachdem, ob es in die gewünschte Erzählung passt. Die Gefahr besteht darin, dass Bürger ihre Meinungen nicht auf Basis von Fakten, sondern auf Grundlage manipulierter Rahmungen bilden. Wer permanent mit solchen Begriffen konfrontiert wird, nimmt die Realität in einem vorgefertigten Raster wahr. Framing ersetzt somit die offene Debatte durch eine lenkende Sprache, die die Grenzen des Denkbaren vorgibt.

Zensur oder Schutz? Wenn Politik Informationen sperrt

Zensur ist ein heikles Thema in jeder Demokratie, denn sie greift unmittelbar in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger ein. Wenn ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Zeitschrift Compact verbietet oder in der Europäischen Union gleich mehrere russische Fernsehsender wie RT und Sputnik untersagt werden, dann zeigt sich, wie sehr die Politik versucht, Informationsflüsse zu kontrollieren. Befürworter solcher Massnahmen argumentieren mit dem Schutz vor Desinformation und Propaganda. Doch diese Haltung verkennt, dass mündige Bürger selbst entscheiden sollten, welche Informationen sie konsumieren und welchen Quellen sie Glauben schenken. Die politische Macht, den Zugang zu bestimmten Medien zu sperren, öffnet einer gefährlichen Praxis Tür und Tor. Wer einmal damit anfängt, Inhalte zu verbieten, wird schnell weitere Begründungen finden, warum die eine oder andere Meinung angeblich nicht mehr tragbar ist. Viel wichtiger wäre es, gerade junge Menschen zu befähigen, zwischen wahren und unwahren Informationen zu unterscheiden. Kritisches Denken, Quellenbewertung und der Vergleich unterschiedlicher Perspektiven sind die eigentlichen Schlüsselkompetenzen der Gegenwart. Eine Meinung gewinnt an Substanz, wenn man sie auch an extremen oder gegenteiligen Positionen misst. Oft liegt die Wahrheit nicht am äussersten Ende des Spektrums, sondern irgendwo dazwischen. Sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen ist zwar anstrengend, schützt aber davor, einseitigen Deutungen zu verfallen. Verbote hingegen fördern Misstrauen und treiben problematische Inhalte in schwer kontrollierbare Parallelstrukturen. Zensur schwächt somit nicht nur die Informationsfreiheit, sondern auch das Vertrauen in den demokratischen Diskurs. Eine offene Gesellschaft sollte extreme, unbequeme und sogar falsche Meinungen aushalten können, sofern die Bürger lernen, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Die Lügen- und Lückenpresse

Wenn von der „Lügenpresse“ die Rede ist, denken viele an falsche Berichte oder manipulierte Fakten. Doch mindestens ebenso problematisch ist die „Lückenpresse“. Denn die öffentliche Meinung wird nicht nur durch das geprägt, was berichtet wird, sondern auch durch das, was verschwiegen oder an den Rand gedrängt wird. Wenn Medienschaffende bestimmte Themen stark hervorheben und andere nahezu vollständig ignorieren, entsteht ein verzerrtes Bild der Realität. Gerade die Auswahl der Themen bestimmt, was als wichtig wahrgenommen wird und worüber die Gesellschaft diskutiert. Während über einige Konflikte täglich in allen Kanälen berichtet wird, verschwinden andere Krisen fast vollständig aus der öffentlichen Wahrnehmung. Auch innerhalb einzelner Debatten werden unliebsame Argumente oft ausgespart oder in Nebensätzen abgehandelt. So wurde in der Corona-Pandemie die Kritik an Massnahmen meist marginalisiert, im Ukraine-Krieg eine differenzierte Sichtweise weitgehend ausgeschlossen und im US-Wahlkampf 2024 wurde Kamala Harris von den Medien gezielt hochgeschrieben.

Die Lückenpresse wird besonders deutlich im Übergang von der Pandemie zum Ukraine-Krieg. Kaum war das Virus aus den Schlagzeilen verschwunden, bestimmten Panzer, Raketen und Sanktionen die mediale Agenda. Die ständige Fokussierung auf den neuen Konflikt verhinderte eine ernsthafte Reflexion der Medien über ihre eigene Rolle während der Pandemie. Fragen nach der Evidenz vieler Massnahmen, nach der Ausgrenzung von Kritikern oder nach den massiven gesellschaftlichen Folgen wurden nicht mehr gestellt. Ein grosses Thema löste das andere ab, sodass der dringend notwendigen Aufarbeitung elegant ausgewichen werden konnte. Genau hier zeigt sich die Mechanik der Lückenpresse. Was nicht mehr berichtet wird, verschwindet aus dem kollektiven Gedächtnis. Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen dadurch den Eindruck, dass die Debatte abgeschlossen sei, obwohl sie nie geführt wurde.

Die Lückenpresse wirkt dabei zwar subtiler als offensichtliche Falschmeldungen, ist aber nicht weniger gefährlich. Denn wer Themen bewusst ausklammert, steuert das Meinungsklima ebenso wirksam wie durch offene Parteinahme. In der Folge verschiebt sich der öffentliche Diskurs: Manche Fragen gelten als gesetzt, während andere gar nicht erst gestellt werden dürfen. Für die Leserinnen und Leser entsteht dadurch ein unausgewogenes Bild, das weniger von Faktenvielfalt als von selektiver Wahrnehmung geprägt ist. Trump sprach in diesem Zusammenhang oft von „Fake News“ – und auch wenn seine Wortwahl überzogen war, so liegt in dieser Kritik ein Kern der Wahrheit. Medien verlieren nicht nur durch falsche Informationen, sondern auch durch ihre selektive Themenwahl an Glaubwürdigkeit. Deshalb ist es entscheidend, dass Journalismus wieder seiner eigentlichen Aufgabe nachkommt und die Wirklichkeit möglichst umfassend darstellt, statt sie durch Lücken und Einseitigkeit zu verengen.

Wahlkampf 2024 – Trump vs. Harris

Im Wahlkampf 2024 wurde besonders deutlich, wie stark die Medien Stimmungen prägen können. Kamala Harris galt lange als unauffällige und profillose Vizepräsidentin, die weder durch eigene Ideen noch durch besondere Beliebtheit aufgefallen war. In vielen Kommentaren wurde sie als enttäuschend, unpopulär und geradezu als Problemfall innerhalb der Demokraten beschrieben. Noch wenige Monate vor dem entscheidenden Moment schien ihre politische Karriere beendet. Doch mit dem Rückzug von Joe Biden änderte sich die Berichterstattung grundlegend. Aus der unscheinbaren Harris wurde plötzlich eine Hoffnungsträgerin, die von vielen Journalisten beinahe hymnisch gefeiert wurde. Dieselben Medien, die sie zuvor als schwach dargestellt hatten, sprachen nun von Dynamik, Charisma und Führungsstärke. Harris wurde innerhalb kürzester Zeit hochgelobt, als wäre sie die einzige Rettung gegen Donald Trump. Diese Kehrtwende wirkte jedoch weniger wie eine echte Neubewertung, sondern vielmehr wie ein Reflex der Branche, sich schnell einer neuen Erzählung anzuschliessen. Wahlprognosen, die ihr deutliche Vorteile zuschrieben, wirkten dabei mehr von Wunschdenken getragen als von nüchterner Analyse. Die Gleichförmigkeit der Kommentare machte deutlich, wie stark Journalisten einander folgen und wie wenig Widerspruch sie zulassen. Harris verwandelte sich über Nacht von einer politischen Randfigur zu einer Art Prinzessin, weil es die mediale Dramaturgie verlangte. Ob sie tatsächlich über die politische Substanz verfügte, die man ihr plötzlich zuschrieb, blieb dabei weitgehend ungeprüft. Für viele Beobachter war dies ein Beispiel dafür, wie Medien Realitäten konstruieren können, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen.

Corona und die Medien: Von Kritikern zu Schwurblern

In der Corona-Pandemie haben nicht nur Politiker, sondern auch die Medien erhebliche Fehlleistungen gezeigt. Anstatt ihre klassische Rolle als kritische Beobachter und Kontrollinstanz einzunehmen, wirkten sie oft wie ein verlängerter Arm der Politik. Wer Zweifel an den Massnahmen äusserte, wurde nicht als Teil einer demokratischen Debatte wahrgenommen, sondern sofort in eine Ecke gestellt. Begriffe wie „Schwurbler” oder „Covidiot” wurden inflationär verwendet, um Kritik zu diskreditieren. Dadurch wurde eine Polarisierung erzeugt, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig beschädigte. Aus heutiger Sicht zeigt sich zudem, dass viele Massnahmen nicht evidenzbasiert, sondern eher aus politischem Aktionismus heraus ergriffen wurden. Ein Beispiel ist der Appell „Retten Sie Leben, bleiben Sie bitte zu Hause!”. Solche Parolen vernachlässigten die Lebensrealität von Menschen, die auf engem Raum ohne Rückzugsmöglichkeiten ausharren mussten, völlig. Wer, wie die Mitglieder des Bundesrates, in grosszügigen Wohnungen mit Garten lebt, hat kaum ein Gefühl dafür, wie belastend die Situation für eine Familie in einer kleinen Wohnung sein konnte. Hinzu kam, dass das Wetter im Frühling 2020 besonders schön war, wodurch sich der Widerspruch zwischen staatlicher Anweisung und menschlichen Bedürfnissen noch verstärkte. Anstatt eine offene Diskussion über Sinn und Unsinn einzelner Massnahmen zu führen, machten die Medien regelrecht Jagd auf Kritiker. Massnahmen wie Maskenpflicht, Lockdowns oder Impfdruck hätten in einer pluralistischen Gesellschaft unterschiedlich bewertet werden dürfen. Doch wer Gegenargumente vorbrachte, galt schnell als unsolidarisch oder sogar gefährlich. Damit haben die Medien ihre Glaubwürdigkeit als Forum für eine ausgewogene Debatte verloren. Bis heute fehlt eine umfassende Aufarbeitung der Frage, wie es zu dieser engen Nähe zwischen Politik und Medien kam. Die damaligen Entscheidungen wurden nicht kritisch durchleuchtet und der Tonfall der Berichterstattung wurde nicht hinterfragt. Die Folge ist ein massiver Vertrauensverlust in die Medienlandschaft. Viele Menschen haben das Gefühl, dass nicht mehr alle Stimmen gehört werden dürfen. Diese Erfahrung wird lange nachwirken, da sie das Verhältnis zwischen Bürgern, Politik und Medien nachhaltig beschädigt hat. Eine offene Gesellschaft muss Kritik aushalten – auch in Krisenzeiten. Gerade dann ist es Aufgabe der Medien, Vielfalt abzubilden und nicht Konformität zu erzwingen.

Der Ukraine-Krieg und die Einseitigkeit der Berichterstattung

Die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg in den deutschsprachigen Medien ist nahezu ausschliesslich aus westlicher Perspektive geprägt. Eine offene Diskussion über die Ursachen oder die Schuldfrage findet kaum statt. Wer darauf hinweist, dass Russland eigene sicherheitspolitische Interessen verfolgt, wird schnell als „Putin-Versteher“ bezeichnet. Damit wird ein wichtiger Teil der Debatte im Keim erstickt. Anstatt unterschiedliche Sichtweisen abzubilden, übernehmen die Medien meist unhinterfragt die offizielle politische Linie der NATO-Staaten. So wird der Krieg vor allem als imperialistischer Angriff Putins dargestellt, verbunden mit der These, er wolle ein russisches Grossreich wiedererrichten. Dass Russland jedoch auch eigene Begründungen anführt, beispielsweise den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine oder die Ablehnung einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, wird kaum erwähnt oder sofort als Propaganda abgetan. Die Möglichkeit, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA handeln könnte, wird von vornherein ausgeschlossen. Dadurch wird der Konflikt stark vereinfacht und auf eine moralische Schwarz-Weiss-Logik reduziert. Gerade in einem so komplexen geopolitischen Kontext wäre es jedoch Aufgabe der Medien, alle Argumente auf den Tisch zu legen. Nur so könnten sich Bürger eine fundierte Meinung bilden. Stattdessen wird jede differenzierende Perspektive als gefährlich oder unsolidarisch dargestellt. Kritische Stimmen, die vor einer Eskalation warnen oder Verhandlungen fordern, kommen nur am Rande vor. So verengen die Medien den Diskurs und tragen dazu bei, dass die Gesellschaft gespalten wird. Ein verantwortungsvoller Journalismus müsste die verschiedenen Narrative nebeneinanderstellen und deren Plausibilität prüfen. Doch das geschieht nicht. Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Öffentlichkeit nicht umfassend informiert, sondern einseitig auf Linie gebracht wird.

Fazit

In einer Demokratie kommt den Medien die Rolle der vierten Gewalt zu. Doch dieser Aufgabe werden sie immer weniger gerecht. Anstatt die Politik kritisch zu hinterfragen, übernehmen sie häufig deren Narrative und geben sie ungefiltert weiter. Während der Corona-Pandemie standen viele Redaktionen den Regierungen näher als den Bürgern und stempelten Kritiker schnell als „Schwurbler“ ab. Auch im Ukraine-Krieg ist die Berichterstattung fast ausschliesslich westlich geprägt und lässt kaum differenzierte Sichtweisen zu. Im US-Wahlkampf 2024 konnte man beobachten, wie Kamala Harris innerhalb kürzester Zeit von einer unauffälligen Vizepräsidentin zur medialen Hoffnungsträgerin hochgeschrieben wurde. Hinzu kommt die Praxis des Framings, die durch geschickte Wortwahl Meinungen lenkt und komplexe Sachverhalte in einfache Schwarz-Weiss-Muster presst. Ebenso problematisch ist die Lückenpresse. Denn nicht nur das, was berichtet wird, prägt den öffentlichen Diskurs, sondern auch das, was bewusst ausgelassen wird. So löste der Ukraine-Krieg das Thema Pandemie nahtlos ab – eine kritische Aufarbeitung der damaligen Fehler fand kaum statt.

Für das Publikum bedeutet dies, dass es sich zunehmend aus homogenen Informationsquellen bedienen muss. Viele Menschen sind weder bereit noch in der Lage, sich aus unterschiedlichen Perspektiven zu informieren. Selbst wer es versucht, stösst schnell an Grenzen, da ein medialer Einheitsbrei dominiert und abweichende Stimmen selten zu hören sind. Damit verlieren Medien das, was sie eigentlich auszeichnen sollte: Vielfalt, Unabhängigkeit und kritische Distanz. Das Vertrauen schwindet, weil Bürger zunehmend das Gefühl haben, nicht die volle Wahrheit zu erfahren.

Ein demokratisches Gemeinwesen ist jedoch auf Medien angewiesen, die Missstände aufdecken, Macht kontrollieren und verschiedene Sichtweisen sichtbar machen. Die Rückkehr zu dieser Kernaufgabe ist dringend notwendig. Andernfalls drohen die Medien, endgültig vom Korrektiv der Politik zum Verstärker von Machtinteressen zu werden.