Als westlicher Politiker dürfte ich folgenden Text wohl nicht schreiben, denn das wäre wahrscheinlich gleichbedeutend mit dem Karriereende. Wer möchte schon gerne einen solchen Spiegel vorgehalten bekommen? Die politische Realität westlicher Demokratien verlangt von Politikern, dass sie die angenehmen Mythen aufrechterhalten. „Wir sind die Guten, unser Wohlstand ist verdient und unsere Interventionen dienen edlen Zielen.“ Wer diese Illusionen zerstört, wird nicht wiedergewählt. Die Wahrheit ist in der Politik meist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können.

In meinem letzten Beitrag habe ich geschrieben, dass die NATO eher ein Machtinstrument als ein Verteidigungsbündnis ist. Was ist meine Motivation, diesen sowie die vorherigen und den nächsten Beitrag zu schreiben? Einerseits beklagt sich der Westen über die Einmischung fremder Mächte in seine demokratischen Wahlen. Andererseits versteht der Westen nicht, warum sich der Rest der Welt nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligen will. Offensichtlich leidet der Westen an Amnesie, wenn es um seine eigene Einmischung in fremde Länder geht. Ich möchte an dieser Stelle an die Interventionen der USA, der NATO und der Koalition der Willigen erinnern.

Wir sind doch die Guten

Wer die Medien der letzten Jahre aufmerksam verfolgt hat, kennt das Muster: Wir sind die Guten. Wir stehen für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte. Wenn westliche Länder militärisch eingreifen oder sich in fremde Angelegenheiten einmischen, dann geschieht das angeblich aus moralischer Verantwortung. Nicht aus Eigennutz, versteht sich.

Dieses Selbstbild ist nicht ganz aus der Luft gegriffen. Viele westliche Staaten haben tatsächlich funktionierende demokratische Institutionen. Es gibt Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und eine vermeintlich freie Presse. Allerdings ist die freie Presse eher ein theoretisches Konstrukt, die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Soweit, so gut. Das Problem beginnt jedoch, wenn man den Blick nach aussen richtet. Dann wird schnell klar: Was im Inneren gepredigt wird, gilt für die Aussenpolitik nicht unbedingt. Besonders absurd wird es, wenn sich westliche Politiker über russische Wahleinmischung empören, während ihre eigenen Regierungen seit Jahrzehnten Regime stürzen und Wahlen manipulieren. Der Unterschied liegt nur in der Etikettierung: Was andere als Einmischung betreiben, nennt der Westen „Demokratieförderung“.

Nach 1945 bauten die USA und ihre Verbündeten systematisch eine Weltordnung auf, die ihren Interessen diente. Zunächst war der Kommunismus der grosse Feind, später wurden Menschenrechte und Demokratie zu den neuen Rechtfertigungen. In Wahrheit ging es meist um Rohstoffe, Märkte und geopolitische Kontrolle. Schauen wir uns die Fakten an.

Wer zählt zum Westen?

Der Begriff „Westen“ klingt geografisch eindeutig, ist aber in Wahrheit ein politisches Konstrukt. Nach 1945 entstanden, umfasste er zunächst die USA, Kanada und Westeuropa. Später kamen Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland dazu. Heute sprechen wir meist von der EU, NATO oder G7, wenn wir „den Westen“ meinen. Was diese Länder verbindet, ist weniger die Lage auf der Landkarte als eine gemeinsame ideologische Ausrichtung. Man versteht sich als „freie Welt“, als Verfechter von Demokratie und Marktwirtschaft. Soweit die Theorie.

Flexible Bündnispartner

Die Praxis sah schon im Kalten Krieg anders aus. Entscheidend war nicht, ob ein Land demokratisch war, sondern ob es antikommunistisch war. Saudi-Arabien, eine absolute Monarchie ohne jede politische Mitbestimmung, galt stets als enger Verbündeter. Warum? Weil das Königreich zuverlässig Öl lieferte und gegen die Sowjetunion Stellung bezog. Ähnlich verhielt es sich mit Militärdiktaturen in Lateinamerika. Solange sie als Bollwerk gegen linke Bewegungen dienten, wurden sie hofiert. Der Schah im Iran, Marcos auf den Philippinen, Pinochet in Chile – sie alle genossen westliche Unterstützung, obwohl ihre Regime brutal und autoritär waren.

Grenzfälle: Israel und die Türkei

Interessant sind Länder wie Israel und die Türkei. Israel wird trotz seiner Lage im Nahen Osten klar zum Westen gezählt. Die enge Bindung an die USA und die demokratischen Strukturen sprechen dafür – wobei die Behandlung der Palästinenser diese Zuordnung durchaus fragwürdig macht.

Die Türkei ist NATO-Mitglied und damit formal Teil des westlichen Sicherheitssystems. Unter Erdogan entfernt sich das Land aber immer weiter von demokratischen Standards. Trotzdem bleibt es ein wichtiger Partner, weil es die Verbindung zwischen Europa und Asien kontrolliert und als Puffer gegen Russland dient.

Das zeigt: Der Westen ist kein fester Club mit klaren Aufnahmekriterien. Es ist ein flexibles Konstrukt, das sich nach geopolitischen Interessen richtet. Wer die Mächtigen unterstützt, gehört dazu – egal, wie es um Demokratie und Menschenrechte bestellt ist.

Die USA und ihre Kriege

Kein Land hat die westliche Aussenpolitik seit 1945 so geprägt wie die USA. Sie sahen sich als Anführer der „freien Welt“ und als Bollwerk gegen den Kommunismus. Doch schon früh zeigte sich: Bei militärischen Interventionen ging es selten nur um edle Motive.

Korea und Vietnam: Die ersten grossen Lügen

Der Koreakrieg zu Beginn der 1950er Jahre wurde als Verteidigung der Freiheit dargestellt. Die Amerikaner waren der Meinung, dass sich die Zukunft der Demokratie in Asien entscheiden werde. Ähnlich funktionierte später die Rechtfertigung für den Vietnamkrieg. Die Domino-Theorie besagte, dass, wenn ein Land dem Kommunismus anheimfällt, die ganze Region folgt. Dieses Narrativ war entscheidend, um die eigene Bevölkerung bei der Stange zu halten. In Wahrheit ging es jedoch darum, den amerikanischen Einfluss in Asien zu sichern und der Sowjetunion zu zeigen, wer der Boss ist. Die Kosten waren immens. In Korea starben Millionen Menschen, in Vietnam noch mehr. Napalm und Agent Orange hinterliessen Spuren, die noch heute sichtbar sind. Dennoch hielten die USA an der Erzählung fest, sie kämpften für die Freiheit.

Irak 2003: Die perfekte Inszenierung

Nach dem Ende des Kalten Krieges änderte sich das Vokabular, nicht aber die Praxis. Der Irakkrieg 2003 ist das perfekte Beispiel. Offiziell ging es darum, Saddam Hussein zu entwaffnen, weil er angeblich über Massenvernichtungswaffen verfügte.

Colin Powell trat vor die UNO und schwenkte ein Röhrchen mit weissem Pulver. „Beweis“ für Saddams Giftgaslabore. Eine komplette Fälschung, wie sich später herausstellte. Aber die Show funktionierte. Die westlichen Medien machten bereitwillig mit, übernahmen die Regierungsversion weitgehend unkritisch und verwandelten sich von Watchdogs zu Schosshündchen der Macht. Kritische Stimmen gab es zwar, aber sie wurden systematisch an den Rand gedrängt oder gingen in der orchestrierten Flut offizieller Verlautbarungen unter.

Jahre später gaben die Verantwortlichen zu, dass der Krieg auf einer Lüge beruhte. Zu spät. Der Irak war zerstört, Hunderttausende tot, die Region destabilisiert.

Afghanistan: 20 Jahre für nichts

Auch Afghanistan zeigt das Muster. Nach dem 11. September marschierten die USA ein, angeblich um Terroristen zu jagen und Demokratie zu bringen. 20 Jahre später kehrten die Taliban an die Macht zurück. Mission erfüllt?

Allen diesen Kriegen ist eines gemeinsam: Sie wurden mit moralischen Motiven gerechtfertigt, dienten aber knallharten Interessen. Machtpolitik, Ressourcen, geopolitische Kontrolle – darum ging es wirklich. Die Geschichten von Freiheit und Demokratie waren für das heimische Publikum.

Die USA und ihre Regime-Change-Aktionen

Manchmal reichten Panzer und Bomben nicht. Oft genügten CIA, Geld und politische Manipulation, um unliebsame Regierungen loszuwerden. Die Liste verdeckter Operationen ist lang und entlarvend.

Iran 1953 – Operation Ajax

Mohammed Mossadegh war demokratisch gewählt und wollte die Ölindustrie verstaatlichen. Die Einnahmen sollten dem iranischen Volk zugutekommen, nicht britischen und amerikanischen Konzernen. Das war für London und Washington inakzeptabel. CIA und MI6 organisierten einen Putsch. Mossadegh wurde gestürzt, der Schah kam zurück an die Macht. Fortan regierte er autoritär, aber pro-westlich. Offiziell hiess es, man habe den Iran vor dem Kommunismus gerettet. In Wahrheit ging es um Öl.

Guatemala 1954 – United Fruit Company

Ein Jahr später das gleiche Spiel in Guatemala. Präsident Jacobo Árbenz kündigte eine Landreform an, die auch die Ländereien der United Fruit Company betraf. Ein US-Konzern sah seine Profite bedroht – das genügte für einen Regime-Change. Die CIA inszenierte einen Putsch. Árbenz musste ins Exil, Guatemala fiel für Jahrzehnte in eine Spirale aus Gewalt und Militärdiktatur. Auch hier lautete die offizielle Begründung: Kampf gegen den Kommunismus.

Chile 1973 – Der Demokratie-Export

Salvador Allende war demokratisch gewählt und verfolgte eine sozialistische Politik. Das missfiel Washington. Die CIA unterstützte Augusto Pinochets Militärputsch. Was folgte, war eine der blutigsten Diktaturen Lateinamerikas.

Hier wird die Perversität des westlichen „Demokratie-Exports“ besonders deutlich: Ein demokratisch gewählter Präsident wird gestürzt, damit ein Diktator an die Macht kommt. Zehntausende wurden verfolgt, gefoltert, ermordet. Aber Pinochet war pro-westlich – das zählte.

Indonesien 1965 – Das vergessene Massaker

In Indonesien half die CIA dabei, Sukarno zu stürzen. Was folgte, war eines der grössten Massaker des 20. Jahrhunderts. Bis zu einer Million Menschen wurden ermordet, die meisten von ihnen Kommunisten oder vermeintliche Sympathisanten. Der Westen schwieg. Suhartos neue Diktatur öffnete das Land für westliche Investoren und stellte sich gegen China. Das war wichtiger als eine Million Tote.

Nicaragua 1980er – Die Contras

In Nicaragua unterstützten die USA die Contras gegen die sandinistische Regierung. Ein schmutziger Krieg, finanziert durch illegale Waffengeschäfte. Der Iran-Contra-Skandal kam schliesslich ans Licht, aber der Schaden war angerichtet.

Das Muster ist immer gleich: Demokratische Prinzipien spielen keine Rolle. Entscheidend ist nur, ob eine Regierung pro-westlich ist oder nicht. Wer sich den Interessen der USA und ihrer Verbündeten widersetzt, wird beseitigt – egal, ob demokratisch gewählt oder nicht.

Die westlichen Sanktionen: Strafe nur für die anderen

Wirtschaftssanktionen gelten als „zivilisierte“ Alternative zum Krieg. Die Liste sanktionierter Länder ist lang: Russland, Iran, Venezuela, Nordkorea, Kuba, Syrien und viele andere. Die Begründungen sind stets dieselben: Menschenrechtsverletzungen, Bedrohung der internationalen Sicherheit, Verstösse gegen das Völkerrecht.

Selektive Gerechtigkeit

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich ein selektiver Ansatz. Saudi-Arabien führt einen verheerenden Krieg im Jemen, unterdrückt systematisch Frauen und Dissidenten, köpft regelmässig Menschen – aber Sanktionen? Fehlanzeige. Das Königreich ist strategischer Partner.

Der grosse Unterschied: Irak vs. Ukraine

Besonders deutlich wird die Doppelmoral beim Vergleich völkerrechtswidriger Kriege. Als Russland 2022 die Ukraine angriff, reagierte der Westen mit beispiellosen Sanktionen. Russische Oligarchen wurden weltweit verfolgt, ihre Vermögen eingefroren, ihre Yachten beschlagnahmt. Viele dieser Massnahmen trafen Menschen, die mit dem Krieg nichts zu tun hatten. Russische Staatsbürger wurden pauschal verdächtigt, nur weil sie den falschen Pass hatten.

Ganz anders 2003 beim Irak-Krieg. Die USA und ihre Verbündeten marschierten ohne UN-Mandat ein, basierend auf erwiesenermassen falschen Behauptungen. Dieser Angriffskrieg kostete Hunderttausende das Leben. Amerikanische „Oligarchen“ – die Spitzenverdiener der Rüstungsindustrie – wurden nicht sanktioniert. Ihre Geschäfte liefen prächtig.

Wer urteilt über wen?

Das zeigt: Sanktionen sind kein Instrument der Gerechtigkeit, sondern der Machtpolitik. Sie werden nicht aufgrund objektiver Kriterien verhängt, sondern nach geopolitischen Interessen. Problematisch ist auch, wer diese Sanktionen beschliesst. Es sind nicht internationale Gerichte oder neutrale Institutionen, sondern die westlichen Regierungen selbst. Sie sind Ankläger, Richter und Vollstrecker in einer Person. Das widerspricht jedem rechtsstaatlichen Prinzip.

Die Schweiz gibt ihre Neutralität auf

Besonders bedenklich ist, dass sich neutrale Länder wie die Schweiz an diesem System beteiligen. Die Schweiz übernahm die EU-Sanktionen gegen Russland nahezu vollständig. Ein klarer Bruch mit der eigenen Tradition. Diese Entscheidung zeigt: Die proklamierte Neutralität weicht der Realität der westlichen Zugehörigkeit. Die Schweiz handelt nicht als unabhängiger Staat, sondern als Teil des westlichen Blocks – auch wenn sie das ungern zugibt. Warum tut sie das? Der Druck aus Washington und Brüssel war schlicht zu gross für einen Kleinstaat. Die Schweiz ist eben nicht die Türkei, die als grosses NATO-Mitglied mit strategischer Bedeutung gewisse Alleingänge wagen kann. Mit acht Millionen Einwohnern kann sich die kleine Schweiz keine eigenständige Politik leisten, wenn die Grossmächte Druck machen. Ihre Wirtschaft hängt vollständig am Wohlwollen der USA und EU. Hätte sie sich verweigert, wären die Konsequenzen verheerend gewesen: Sanktionen, Isolation, wirtschaftlicher Selbstmord. In der Machtpolitik haben kleine Länder keine Wahl.

NATO-Interventionen: Der militärische Arm der westlichen Moral

Die NATO entwickelte sich nach 1991 von einem Verteidigungsbündnis zu einem Instrument westlicher Machtprojektion. Wie ich bereits in einem früheren Beitrag ausführlich dargestellt habe (Die NATO-Interventionen: Eine kritische Betrachtung des Verteidigungsbündnisses), folgen NATO-Einsätze einem klaren Muster.

Humanitäre Begründungen, geostrategische Ziele

Jugoslawien, Libyen, Afghanistan – immer lautete die Begründung: humanitäre Krise, Schutz der Zivilbevölkerung, Kampf für Menschenrechte. Das Ergebnis waren meist destabilisierte Regionen und fragwürdige Erfolge bei den angeblichen Zielen. Die NATO wurde so zum militärischen Arm einer westlichen Aussenpolitik, die eigene Interessen mit universellen Werten legitimiert. Besonders perfide ist die Instrumentalisierung humanitärer Krisen. Wenn der Westen militärisch eingreifen will, finden sich stets Menschenrechtsverletzungen als Vorwand. Dass es solche Krisen auch in befreundeten Ländern gibt, ohne dass eingegriffen wird, zeigt die Selektivität. Die NATO schützt nicht Menschenrechte – sie schützt westliche Interessen.

Fazit: Der heuchlerische Westen

Die Faktenlage ist erdrückend. Von Iran 1953 über Chile 1973 bis Irak 2003 – immer wieder griff der Westen in fremde Länder ein, stürzte demokratisch gewählte Regierungen oder führte Kriege auf der Basis von Lügen. Gleichzeitig wurden befreundete Diktatoren unterstützt, solange sie den westlichen Interessen dienten.

Was wir hier sehen, ist nicht nur Machtpolitik – es ist institutionalisierte Heuchelei. Der Westen predigt Demokratie und praktiziert Imperialismus. Er spricht von Menschenrechten und unterstützt Diktatoren. Er empört sich über fremde Wahleinmischung und manipuliert selbst Wahlen und Regierungen auf der ganzen Welt.

Das Sanktionssystem funktioniert nach demselben heuchlerischen Prinzip: Bestraft wird nur, wer dem Westen schadet – nicht wer gegen universelle Regeln verstösst. Völkerrechtsbrüche sind nur dann verwerflich, wenn sie von den „Falschen“ begangen werden. Wenn die USA einen Angriffskrieg führen, ist das bedauerlich. Wenn Russland dasselbe tut, ist es ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Selbst neutrale Länder wie die Schweiz werden in diese Heuchelei hineingezogen. Sie geben ihre Prinzipien auf, weil der Druck der westlichen Mächte zu gross ist. Die „regelbasierte internationale Ordnung“ entpuppt sich als System, in dem derjenige die Regeln macht, der die Macht hat.

Diese Doppelstandards sind kein Versehen. Sie sind das System. Der Westen hat eine Weltordnung geschaffen, in der er sich selbst die Rolle des moralischen Richters zuweist, während er gleichzeitig einer der grössten Rechtsbrecher ist. Das ist die Definition von Heuchelei.

Solange diese Heuchelei nicht benannt wird, bleibt die westliche Glaubwürdigkeit beschädigt. Wer anderen Moral predigt, sollte selbst moralisch handeln. Wer das nicht tut, ist ein Heuchler – und verdient es, als solcher bezeichnet zu werden.

Im zweiten Teil werden wir uns die strukturellen Grundlagen dieser westlichen Heuchelei anschauen: Wie der Westen auf Kosten anderer lebt, wie Medien die Bevölkerung manipulieren und wie der Ressourcenverbrauch die Umweltkrise anheizt. Die Interventionspolitik ist nur die Spitze des Eisbergs.

In meinem letzten Beitrag habe ich über Meinungsmache und Lückenpresse geschrieben. Doch wie konnte es überhaupt so weit kommen? Fakt ist: Die Art, wie wir uns heute informieren, hat sich in den letzten Jahren radikal verändert. Schauen wir uns die Gründe für diesen Niedergang einmal genauer an.

Die technologische Revolution: Vom Informationsmonopol zur Informationsflut

Erinnern Sie sich noch? Vor nicht allzu langer Zeit hatten Journalisten praktisch das Monopol auf Nachrichten. Sie waren die Gatekeeper, die entschieden, was auf die Titelseite kam und was im Papierkorb landete. Man vertraute darauf, dass sie ihre Auswahl verantwortungsbewusst trafen, und die Presse galt als glaubwürdige Instanz.

Wer damals seine Meinung kundtun wollte, schrieb einen Leserbrief, der vielleicht Tage später (oder nie) gedruckt wurde. Ich selbst erinnere mich an Reisen in die USA in jungen Jahren: In den Parks von New York standen Menschen auf kleinen Holzkisten und hielten flammende Reden über Politik und die Welt. Ein direkter, aber eben auch sehr begrenzter Austausch.

Heute? Ein völlig anderes Bild. Plattformen wie YouTube, TikTok oder X haben die Schleusen geöffnet. Jeder kann mit einem Smartphone zum Sender werden und potenziell ein globales Publikum erreichen. Das Ergebnis ist eine gigantische Informationsflut, in der Lautstärke und Emotion oft mehr zählen als Relevanz.

Man darf sich aber nichts vormachen: Auch wenn eine Story heute auf Social Media explodiert, sind es am Ende doch meist die etablierten Medien, die ihr die grosse Bühne geben. Sie bestimmen immer noch massgeblich, was zur landesweiten Debatte wird. Eine Nachricht mag also im Netz entstehen, doch erst die Mainstream-Medien geben ihr die grosse Reichweite und öffentliche Aufmerksamkeit. So entstehen Parallelwelten, in denen Fakten, Meinungen und Gerüchte nebeneinander existieren, ohne klare Hierarchie. Der Journalist ist vom alleinigen Torwächter zum Bediener des grössten Scheinwerfers geworden.

Der Würgegriff von Algorithmen und KI

Soziale Medien haben die Spielregeln komplett neu geschrieben. Nicht mehr der Chefredakteur, sondern ein Algorithmus bei Facebook oder TikTok entscheidet, was wir sehen. Und was lieben diese Algorithmen? Emotional aufgeladene Posts, denn die bringen Klicks und Reaktionen. Nüchterne Berichterstattung hat da kaum eine Chance. Also passen sich viele klassische Medien an, werden lauter und dramatischer, nur um relevant zu bleiben.

Dazu kommt jetzt noch die Künstliche Intelligenz. Eine Google-Suche liefert heute oft eine fertige Zusammenfassung, sodass man die eigentliche Nachrichtenseite gar nicht mehr besuchen muss. Für die Online-Medien bedeutet das: noch weniger Besucher, noch weniger Werbeeinnahmen. Gleichzeitig kann KI nicht immer zwischen geprüften Fakten und ungesicherten Informationen unterscheiden. So kämpfen die Medien nicht nur gegen Influencer, sondern auch gegen intelligente Maschinen um die Deutungshoheit.

Die verzweifelte Antwort: Wie Medienkonzerne auf den Wandel reagierten

Wie haben die etablierten Medien auf diese technologische Revolution reagiert? Meistens schlecht, würde ich sagen. Statt innovative Lösungen zu finden, verfiel die Branche in einen Panikmodus aus Kostensenkung und inhaltlicher Anpassung an die neuen Spielregeln.

Hand aufs Herz: Guter Journalismus kostet Geld. Besonders investigativer Journalismus, der Missstände aufdeckt, braucht Zeit, Erfahrung und Ressourcen. Doch genau hier wird der Rotstift angesetzt. Die Werbegelder, die früher Zeitungen finanzierten, fliessen heute direkt zu Google und Meta. Um die verbliebenen Krümel des Werbekuchens abzubekommen, jagen viele Verlage verzweifelt nach Klicks.

Die Folge? Statt teurer Reporter greift man lieber auf billige Agenturmeldungen zurück. Sensationelle Schlagzeilen und emotional gefärbte Berichte versprechen mehr Traffic als sorgfältige Recherche. Social Media verstärken diesen Trend noch, da dort nur die Beiträge sichtbar werden, die starke Reaktionen auslösen. Empörung, Wut oder Angst sorgen für mehr Interaktionen als nüchterne Analysen.

Je emotionaler und polarisierender ein Beitrag ist, desto weiter verbreitet er sich in den Netzwerken. Dadurch entsteht für Redaktionen ein Anreiz, Inhalte zuzuspitzen und Konflikte zu betonen. So verlagert sich der Journalismus von gründlicher Recherche hin zur schnellen Erregung.

Schweizer Scheinvielfalt: Drei Konzerne, eine Meinung

Was auf den ersten Blick wie Vielfalt aussieht, ist oft nur eine Illusion. In der Schweiz etwa stecken hinter Dutzenden Titeln wie NZZ, Tages-Anzeiger oder Blick nur drei grosse Verlagshäuser: TX Group, Ringier und CH Media. Dazu kommt die staatsnahe SRG im Hörfunk und Fernsehen.

Diese Medienkonzentration führt zu einem homogenen Journalismus, bei dem die Beiträge zentral produziert und über verschiedene Kanäle fast identisch ausgespielt werden. Vielfalt als Marke, nicht als Inhalt – ein echtes Problem für die Meinungsbildung.

Der grosse Einheitsbrei: Wenn alle von denselben abschreiben

Die vier grossen Agenturen – Reuters, AP, AFP und DPA – beliefern praktisch alle internationalen Redaktionen. Bei der Ukraine-Berichterstattung stammten teils 80 bis 100 Prozent der Inhalte aus genau diesen Quellen, ohne eigene Recherche. Die ehemaligen Auslandskorrespondenten der grossen Redaktionen? Grösstenteils nur noch Erinnerung.

Der Einheitsbrei ist die logische Folge. Ob man die NZZ, die Tagesschau oder 20 Minuten liest – man erlebt fast dieselben Schlagzeilen und fast dieselbe Perspektive. Diese Homogenisierung ist für eine pluralistische Medienlandschaft verheerend.

Die Journalisten-Blase: Zwischen prekär und parteiisch

Hier wird es richtig interessant: Journalisten bewegen sich oft in denselben sozialen und politischen Kreisen wie Politiker, Spitzenbeamte oder Vertreter grosser NGOs. Man trifft sich bei Podiumsdiskussionen, bei Empfängen oder auf internationalen Konferenzen. Diese Nähe schafft zwar Zugang zu Informationen, aber sie hat einen hohen Preis: Die kritische Distanz geht verloren.

Wer sich regelmässig im gleichen Umfeld bewegt, übernimmt leichter dessen Perspektiven und Sprachmuster. So entstehen unbewusst ähnliche Weltbilder, in denen bestimmte Narrative als selbstverständlich gelten und andere gar nicht erst vorkommen. Mit der Zeit verengt sich der Meinungskorridor, weil alternative Sichtweisen als exotisch oder extrem wahrgenommen werden.

Gleichzeitig zerfällt das Fundament des Berufsstands von innen. Das Ansehen von Journalisten ist laut Umfragen im Keller, die Bezahlung oft mager und die Jobsicherheit durch Zeitverträge quasi nicht existent. Viele arbeiten unter prekären Bedingungen, oft in freier Mitarbeit ohne langfristige Perspektive. Das macht den Beruf für Talente wenig attraktiv und verstärkt den Trend zur oberflächlichen Berichterstattung.

Die Digitalisierung hat den Arbeitsdruck zusätzlich verschärft. Früher hatten Redaktionen klare Abgabefristen für Printausgaben oder Nachrichtensendungen, heute verlangt der Online-Betrieb ständige Aktualisierungen. Meldungen müssen im Minutentakt erscheinen, damit die Website Klicks generiert und in Suchmaschinen sichtbar bleibt. Unter diesem Zeitdruck bleibt kaum Raum für gründliche Recherche.

Selbstzensur: Wenn Karriere vor Wahrheit geht

Selbstzensur und Opportunismus sind längst weit verbreitet, auch wenn sie selten offen zugegeben werden. Viele Redaktionen reagieren empfindlich auf öffentlichen Druck. Wer als Journalist allzu stark von der Mehrheitsmeinung abweicht, riskiert nicht nur Kritik, sondern auch den Verlust von Karrierechancen.

Während der Corona-Pandemie war dieses Phänomen besonders deutlich. Kritiker der Lockdown-Politik oder der Impfpflicht wurden in vielen Medien vorschnell als Verschwörungstheoretiker oder Schwurbler abgewertet, statt dass man ihre Argumente sachlich geprüft hätte. Kaum eine Redaktion wollte in den Verdacht geraten, die Massnahmen der Regierung infrage zu stellen.

Ähnlich zeigte sich das beim Ukraine-Krieg. Wer die westliche Politik kritisch betrachtete oder auf Versäumnisse der NATO hinwies, lief Gefahr, sofort als Putin-Versteher abgestempelt zu werden. Solche Mechanismen führen dazu, dass Journalisten nicht nur aus Angst vor öffentlicher Kritik zurückhaltend sind, sondern auch aus purem Opportunismus. Es ist schlicht bequemer, sich der Mehrheitsmeinung anzuschliessen, als gegen den Strom zu schwimmen.

Politik vor Bürgermeinung

Bei der Berichterstattung fällt auf, dass nicht die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung, sondern die politische Mehrheitsmeinung dominiert. Besonders beim Ukraine-Krieg wirkten viele grosse Medien wie Verstärker der Regierungslinie. Ob diese Darstellung tatsächlich die Haltung der Bürger widerspiegelt, bleibt fraglich. Kritische oder differenzierte Stimmen kamen kaum vor und wurden oft in eine Aussenseiterrolle gedrängt.

Für viele Zuschauer entsteht so der Eindruck einer verzerrten Berichterstattung. Manche wenden sich enttäuscht von den etablierten Medien ab und suchen alternative Quellen. Auch ich frage mich zunehmend, warum ich für eine solche einseitige Darstellung überhaupt noch bezahlen sollte.

Talkshows als Schauprozess

Bei vielen Talkrunden im ZDF oder der ARD fällt auf, dass die Auswahl der Gäste oft einseitig ist. Häufig sitzen vier oder fünf Personen auf dem Podium, von denen drei oder vier die politische Mehrheitsmeinung vertreten. Der einzelne Gast mit einer abweichenden Position wird dadurch automatisch in die Defensive gedrängt.

Besonders während der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs war dieses Muster häufig zu beobachten. Wer nicht auf Regierungslinie argumentierte, wurde schnell in die Ecke der Schwurbler oder Putin-Versteher gestellt. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Interviews mit Politikern. Kommt der Gesprächspartner aus einer Partei wie der AfD, ist der Ton der Moderatoren deutlich härter als bei Gästen aus der CDU oder der SPD. Diese unterschiedliche Behandlung vermittelt den Eindruck mangelnder Ausgewogenheit.

Die wahren Experten schlagen zurück

Hier wird es paradox: Dank der technologischen Entwicklung können heute nicht nur Journalisten ein grosses Publikum erreichen. Wissenschaftler, Ärzte, Juristen oder ehemalige Diplomaten veröffentlichen ihre Analysen direkt über Blogs, Podcasts oder soziale Medien. Oft haben diese Experten einen viel besseren Einblick in komplexe Themen, da sie geografisch oder beruflich näher an den Ereignissen sind als eine Redaktion in Zürich, Berlin oder Wien.

Früher waren sie darauf angewiesen, dass ein Journalist ihre Einschätzungen aufgreift und veröffentlicht. Heute können sie ihre Sicht der Dinge unabhängig und in voller Länge darstellen. Dadurch sind viele Leser und Zuschauer nicht mehr nur auf die klassische Berichterstattung angewiesen.

Besonders in Krisen wie der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg haben sich einige Fachleute mit präzisen Analysen einen Namen gemacht, während grosse Medien oft hinterherhinkten oder vereinfachten. Das Publikum erkennt, dass wahre Expertise manchmal wertvoller ist als die Meinung eines Kommentators im Feuilleton. Dadurch entsteht für den Journalismus eine neue Konkurrenz um Glaubwürdigkeit und Relevanz. Wer nur Schlagzeilen liefert, verliert gegen jemanden, der tiefes Wissen und nachvollziehbare Argumente bietet.

Fazit: Ein System im freien Fall

Der Journalismus ist heute ein Gefangener seiner selbst. Viele Redaktionen stecken in einer Abwärtsspirale, aus der sie kaum herausfinden. Wenn Medien über Jahre hinweg einseitig berichten, bemerken das immer mehr Konsumenten. Sie wenden sich von den etablierten Kanälen ab, weil sie das Vertrauen in deren Unabhängigkeit verlieren.

Wer sich nicht mehr ernst genommen fühlt, ist auch nicht mehr bereit, für deren Inhalte zu zahlen. Sinkende Einnahmen führen zu weiteren Sparrunden, wodurch noch weniger Ressourcen für kritische Recherche und investigative Arbeit übrig bleiben. Stattdessen wächst die Abhängigkeit von Nachrichtenagenturen und vorgefertigten Meldungen, die alle gleich klingen.

Doch eine Halbwahrheit wird nicht wahrer, nur weil sie von vielen Medien gleichzeitig verbreitet wird. Einige Menschen erkennen dies und suchen gezielt nach alternativen Informationsquellen. Andere wiederum ziehen sich aus der öffentlichen Debatte zurück, da sie das Gefühl haben, ohnehin keine objektiven Informationen mehr zu erhalten.

So verliert der Journalismus sein Publikum und seine gesellschaftliche Rolle als vierte Gewalt. Wer keine Vielfalt mehr bietet, darf sich nicht wundern, wenn sich Leser und Zuschauer abwenden. Je stärker die Kritik an den Mainstream-Medien wächst, desto defensiver reagieren viele Redaktionen und desto enger wird oft ihr Meinungskorridor.

Die Digitalisierung hat das alte Geschäftsmodell zerstört und das Informationsmonopol der Presse gebrochen. Sinkende Einnahmen führten zu Sparmassnahmen, zu weniger investigativer Recherche und zu einer wachsenden Abhängigkeit von Agenturen und zentralen Quellen. Damit ging die Rolle der vierten Gewalt verloren, die Politik und Macht kritisch hinterfragen sollte.

Stattdessen zeigen sich enge Verflechtungen zwischen Journalisten, politischen Akteuren und grossen Netzwerken, die den Meinungskorridor verengen. Hinzu kommt die sichtbare politische Schlagseite vieler Redaktionen, deren Mitglieder überwiegend dem linken Spektrum angehören und konservative Perspektiven oft nur eingeschränkt zu Wort kommen lassen.

Diese Homogenität verstärkt den Eindruck, dass Medien nicht mehr unabhängig berichten, sondern vor allem eine politische Mehrheitsmeinung absichern. Das Publikum bemerkt diese Einseitigkeit und wendet sich zunehmend alternativen Informationsquellen zu. Dadurch geraten die etablierten Medien finanziell noch stärker unter Druck, was den Teufelskreis aus Sparmassnahmen, einseitiger Berichterstattung und Vertrauensverlust weiter antreibt.

Ich persönlich bin kaum noch bereit, neben den obligatorischen Beträgen zusätzlich für solchen Journalismus zu zahlen. Dieser Sensationsjournalismus ist mir keinen Pfennig wert, denn er kostet mich wertvolle Lebenszeit.

So verstärkt sich der Niedergang eines Berufsstandes, der einst als Garant für Demokratie und Meinungsvielfalt galt. Ohne eine Rückbesinnung auf Unabhängigkeit, Vielfalt und kritische Distanz droht der Journalismus seine gesellschaftliche Relevanz endgültig zu verlieren. Die Branche täte gut daran, diese Warnsignale ernst zu nehmen, bevor es endgültig zu spät ist.

Was war die Motivation, diesen Text zu verfassen?

  • Im zweiten Jahr der Corona-Pandemie war ich oft enttäuscht von der einseitigen Berichterstattung unserer Medien. Vor diesem Zeitpunkt habe ich, wenn es die Zeit zuliess, oft „Echo der Zeit” von Radio SRF gehört. Irgendwann habe ich das Radio einfach ausgeschaltet, wenn der Beitrag zum wiederholten Mal das Thema Corona beinhaltete. Das Gleiche geschah dann auch beim Ukraine-Krieg. Dabei hat die Berichterstattung im „Echo der Zeit” noch ein gewisses Niveau. Die Schlagzeilen im Online-Blick waren sowohl während der Pandemie und insbesondere während des Ukraine-Kriegs so spekulativ und falsch. Gemäss dem Blick müsste Putin schon längst an einer Krankheit gestorben sein und das Waffenarsenal müsste schon längst erschöpft sein. Zudem wäre der wirtschaftliche Untergang schon längst Tatsache. Nichts davon ist bisher eingetroffen. Ich frage mich manchmal, ob sich die Journalisten für ihre Fehlleistungen nicht schämen.
  • Ich selbst bin in den sozialen Medien kaum aktiv, doch die Kommentarspalten der Online-Medien überfliege ich regelmässig. Dabei fällt mir immer wieder auf, wie sehr die dort geführten Diskussionen den Einfluss der Berichterstattung widerspiegeln. Bestimmte Artikel ziehen fast ausschliesslich ein homogenes Publikum an, das jede abweichende Meinung sofort abwehrt. Wer es wagt, eine Gegenposition einzunehmen, wird nicht mit Argumenten, sondern mit Etiketten wie „Schwurbler” oder „Putin-Versteher” abgestempelt. So entsteht kein echter Austausch, sondern ein Klima der Abgrenzung. Gerade die Orte, die eigentlich einen offenen Dialog ermöglichen könnten, bestätigen nur die vorherrschende Meinung. Dieses Verhalten ist keine Zufallserscheinung, sondern eine Folge der Art und Weise, wie viele Medien ihre Themen aufbereiten und welche Wertungen sie bereits in der Darstellung mitliefern.
  • Was ich als schlechte Tugend unserer Medien erachte, ist das Framing. Damit kommt oft schon eine Wertung daher, die möglicherweise völlig falsch ist.

Anhand dreier Beispiele soll im Folgenden die Dysfunktion der Medien aufgezeigt werden. Während der Corona-Pandemie fungierten sie als Erfüllungsgehilfen der Politiker:innen, im Ukraine-Krieg dominierte eine westlich gefärbte Sichtweise und der US-Wahlkampf 2024 war geprägt von Wunschdenken statt Realität. Es sei darauf hingewiesen, dass die vorliegende Meinung zu den betreffenden Themen von sekundärer Relevanz ist. Fest steht jedoch, dass die Berichterstattung nicht mehr als ausgewogen zu bezeichnen ist. In der vorliegenden Abhandlung sollen die Ursachen für den signifikanten Niedergang des Journalismus nur am Rande erörtert werden.

Vom Reporter zum Meinungsmacher

Natürlich verklärt die Erinnerung manches, doch der Journalismus hat sich in den letzten Jahrzehnten spürbar verändert. Früher war es selbstverständlich, dass Reporter vor Ort recherchierten, sich mit Menschen trafen und sich ein eigenes Bild machten. Heute entsteht vieles aus dem Büro heraus – gespeist von Agenturmeldungen, Social Media und Pressestatements. Auch die klare Trennung von Nachricht und Kommentar, die einst ein Grundpfeiler journalistischer Arbeit war, verschwimmt zunehmend: Wertungen und Haltungen mischen sich in die Darstellung von Fakten. Statt nüchterner Information dominiert Meinungsmache, die den Lesern oft vorgibt, was sie zu denken haben. Hinzu kommt der ökonomische Druck, Reichweite und Klickzahlen in den Vordergrund zu stellen. Das führt zu Zuspitzung und Emotionalisierung sowie zur Jagd nach Empörung, da sich diese besser verkauft als nüchterne Analyse. Dadurch hat die Vielfalt an Perspektiven abgenommen – nicht nur, weil viele Verlage fusionierten, sondern auch, weil sich Journalisten gegenseitig stark aneinander orientieren und so ähnliche Sichtweisen verbreiten. Schnelligkeit ersetzt Gründlichkeit: Meldungen müssen sofort online sein, auch wenn Hintergrund und Kontext fehlen. Dabei werden Themen stärker auf Personen zugespitzt, anstatt komplexe Zusammenhänge differenziert darzustellen. Durch Social Media hat sich dieser Trend noch verstärkt: Journalisten reagieren auf Shitstorms und übernehmen Impulse aus Trends, anstatt eigenständig Themen zu setzen. All dies hat das Vertrauen in die Medien erodieren lassen, da die Leserschaft die Medien weniger als unabhängige Beobachter, sondern vielmehr als Akteure mit einer Agenda wahrnimmt. Früher konnten Redaktionen noch stärker bestimmen, was als wichtig galt – heute sind sie von Algorithmen und Stimmungen im Netz getrieben. Der Journalismus ist dadurch schneller, lauter und meinungsfreudiger geworden, aber auch oberflächlicher, homogener und weniger verlässlich.

Framing – Wie Worte Wirklichkeit schaffen

Framing gehört zu den subtilsten, aber auch gefährlichsten Methoden moderner Medien. Gemeint ist die bewusste Rahmung von Ereignissen oder Personen durch bestimmte Begriffe, die beim Publikum sofort bestimmte Emotionen oder Wertungen hervorrufen. Die Kommunikationswissenschaft hat diesen Effekt vielfach untersucht und dabei festgestellt, dass die Wortwahl den Blickwinkel der Rezipienten prägt, ohne dass ihnen dies immer bewusst ist. Gerade deshalb halte ich Framing für hochproblematisch. Ein Beispiel ist der Begriff „prorussische Separatisten“. Er wird fast ausschliesslich so verwendet, obwohl es sich dabei um Ukrainer handelt, die andere politische Vorstellungen haben. Durch das Framing werden sie sprachlich aus ihrer nationalen Identität herausgelöst. Ähnlich verhält es sich bei Giorgia Meloni. Über einen längeren Zeitraum hinweg wurde sie in vielen Medien fast automatisch als „postfaschistisch“ bezeichnet. Dadurch wurde jede politische Diskussion von vornherein durch einen historischen Makel belastet. Im Fall des Krieges in der Ukraine ist der Ausdruck „brutaler Angriffskrieg” ein weiteres Beispiel. Natürlich handelt es sich um einen Krieg mit grossen Opfern, doch der Begriff „brutal” setzt eine Bewertung voraus, die eher an den Vietnamkrieg oder ähnliche Massaker erinnert. Hier wird durch Sprache Emotionalität erzeugt, die eine sachliche Analyse erschwert. Interessant ist, dass bei Bundeskanzler Merz ein gegenteiliges Muster zu beobachten ist: Obwohl er mit seiner Schuldenbremse falsche Versprechen gemacht hat, würde man ihn kaum als „Lügenkanzler“ bezeichnen. Doch diese Form des Framings wird von den Medien kaum aufgegriffen. Das zeigt, dass Framing selektiv angewendet wird – je nachdem, ob es in die gewünschte Erzählung passt. Die Gefahr besteht darin, dass Bürger ihre Meinungen nicht auf Basis von Fakten, sondern auf Grundlage manipulierter Rahmungen bilden. Wer permanent mit solchen Begriffen konfrontiert wird, nimmt die Realität in einem vorgefertigten Raster wahr. Framing ersetzt somit die offene Debatte durch eine lenkende Sprache, die die Grenzen des Denkbaren vorgibt.

Zensur oder Schutz? Wenn Politik Informationen sperrt

Zensur ist ein heikles Thema in jeder Demokratie, denn sie greift unmittelbar in die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger ein. Wenn ehemalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser die Zeitschrift Compact verbietet oder in der Europäischen Union gleich mehrere russische Fernsehsender wie RT und Sputnik untersagt werden, dann zeigt sich, wie sehr die Politik versucht, Informationsflüsse zu kontrollieren. Befürworter solcher Massnahmen argumentieren mit dem Schutz vor Desinformation und Propaganda. Doch diese Haltung verkennt, dass mündige Bürger selbst entscheiden sollten, welche Informationen sie konsumieren und welchen Quellen sie Glauben schenken. Die politische Macht, den Zugang zu bestimmten Medien zu sperren, öffnet einer gefährlichen Praxis Tür und Tor. Wer einmal damit anfängt, Inhalte zu verbieten, wird schnell weitere Begründungen finden, warum die eine oder andere Meinung angeblich nicht mehr tragbar ist. Viel wichtiger wäre es, gerade junge Menschen zu befähigen, zwischen wahren und unwahren Informationen zu unterscheiden. Kritisches Denken, Quellenbewertung und der Vergleich unterschiedlicher Perspektiven sind die eigentlichen Schlüsselkompetenzen der Gegenwart. Eine Meinung gewinnt an Substanz, wenn man sie auch an extremen oder gegenteiligen Positionen misst. Oft liegt die Wahrheit nicht am äussersten Ende des Spektrums, sondern irgendwo dazwischen. Sich mit anderen Sichtweisen auseinanderzusetzen ist zwar anstrengend, schützt aber davor, einseitigen Deutungen zu verfallen. Verbote hingegen fördern Misstrauen und treiben problematische Inhalte in schwer kontrollierbare Parallelstrukturen. Zensur schwächt somit nicht nur die Informationsfreiheit, sondern auch das Vertrauen in den demokratischen Diskurs. Eine offene Gesellschaft sollte extreme, unbequeme und sogar falsche Meinungen aushalten können, sofern die Bürger lernen, sich selbst ein Urteil zu bilden.

Die Lügen- und Lückenpresse

Wenn von der „Lügenpresse“ die Rede ist, denken viele an falsche Berichte oder manipulierte Fakten. Doch mindestens ebenso problematisch ist die „Lückenpresse“. Denn die öffentliche Meinung wird nicht nur durch das geprägt, was berichtet wird, sondern auch durch das, was verschwiegen oder an den Rand gedrängt wird. Wenn Medienschaffende bestimmte Themen stark hervorheben und andere nahezu vollständig ignorieren, entsteht ein verzerrtes Bild der Realität. Gerade die Auswahl der Themen bestimmt, was als wichtig wahrgenommen wird und worüber die Gesellschaft diskutiert. Während über einige Konflikte täglich in allen Kanälen berichtet wird, verschwinden andere Krisen fast vollständig aus der öffentlichen Wahrnehmung. Auch innerhalb einzelner Debatten werden unliebsame Argumente oft ausgespart oder in Nebensätzen abgehandelt. So wurde in der Corona-Pandemie die Kritik an Massnahmen meist marginalisiert, im Ukraine-Krieg eine differenzierte Sichtweise weitgehend ausgeschlossen und im US-Wahlkampf 2024 wurde Kamala Harris von den Medien gezielt hochgeschrieben.

Die Lückenpresse wird besonders deutlich im Übergang von der Pandemie zum Ukraine-Krieg. Kaum war das Virus aus den Schlagzeilen verschwunden, bestimmten Panzer, Raketen und Sanktionen die mediale Agenda. Die ständige Fokussierung auf den neuen Konflikt verhinderte eine ernsthafte Reflexion der Medien über ihre eigene Rolle während der Pandemie. Fragen nach der Evidenz vieler Massnahmen, nach der Ausgrenzung von Kritikern oder nach den massiven gesellschaftlichen Folgen wurden nicht mehr gestellt. Ein grosses Thema löste das andere ab, sodass der dringend notwendigen Aufarbeitung elegant ausgewichen werden konnte. Genau hier zeigt sich die Mechanik der Lückenpresse. Was nicht mehr berichtet wird, verschwindet aus dem kollektiven Gedächtnis. Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen dadurch den Eindruck, dass die Debatte abgeschlossen sei, obwohl sie nie geführt wurde.

Die Lückenpresse wirkt dabei zwar subtiler als offensichtliche Falschmeldungen, ist aber nicht weniger gefährlich. Denn wer Themen bewusst ausklammert, steuert das Meinungsklima ebenso wirksam wie durch offene Parteinahme. In der Folge verschiebt sich der öffentliche Diskurs: Manche Fragen gelten als gesetzt, während andere gar nicht erst gestellt werden dürfen. Für die Leserinnen und Leser entsteht dadurch ein unausgewogenes Bild, das weniger von Faktenvielfalt als von selektiver Wahrnehmung geprägt ist. Trump sprach in diesem Zusammenhang oft von „Fake News“ – und auch wenn seine Wortwahl überzogen war, so liegt in dieser Kritik ein Kern der Wahrheit. Medien verlieren nicht nur durch falsche Informationen, sondern auch durch ihre selektive Themenwahl an Glaubwürdigkeit. Deshalb ist es entscheidend, dass Journalismus wieder seiner eigentlichen Aufgabe nachkommt und die Wirklichkeit möglichst umfassend darstellt, statt sie durch Lücken und Einseitigkeit zu verengen.

Wahlkampf 2024 – Trump vs. Harris

Im Wahlkampf 2024 wurde besonders deutlich, wie stark die Medien Stimmungen prägen können. Kamala Harris galt lange als unauffällige und profillose Vizepräsidentin, die weder durch eigene Ideen noch durch besondere Beliebtheit aufgefallen war. In vielen Kommentaren wurde sie als enttäuschend, unpopulär und geradezu als Problemfall innerhalb der Demokraten beschrieben. Noch wenige Monate vor dem entscheidenden Moment schien ihre politische Karriere beendet. Doch mit dem Rückzug von Joe Biden änderte sich die Berichterstattung grundlegend. Aus der unscheinbaren Harris wurde plötzlich eine Hoffnungsträgerin, die von vielen Journalisten beinahe hymnisch gefeiert wurde. Dieselben Medien, die sie zuvor als schwach dargestellt hatten, sprachen nun von Dynamik, Charisma und Führungsstärke. Harris wurde innerhalb kürzester Zeit hochgelobt, als wäre sie die einzige Rettung gegen Donald Trump. Diese Kehrtwende wirkte jedoch weniger wie eine echte Neubewertung, sondern vielmehr wie ein Reflex der Branche, sich schnell einer neuen Erzählung anzuschliessen. Wahlprognosen, die ihr deutliche Vorteile zuschrieben, wirkten dabei mehr von Wunschdenken getragen als von nüchterner Analyse. Die Gleichförmigkeit der Kommentare machte deutlich, wie stark Journalisten einander folgen und wie wenig Widerspruch sie zulassen. Harris verwandelte sich über Nacht von einer politischen Randfigur zu einer Art Prinzessin, weil es die mediale Dramaturgie verlangte. Ob sie tatsächlich über die politische Substanz verfügte, die man ihr plötzlich zuschrieb, blieb dabei weitgehend ungeprüft. Für viele Beobachter war dies ein Beispiel dafür, wie Medien Realitäten konstruieren können, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprechen.

Corona und die Medien: Von Kritikern zu Schwurblern

In der Corona-Pandemie haben nicht nur Politiker, sondern auch die Medien erhebliche Fehlleistungen gezeigt. Anstatt ihre klassische Rolle als kritische Beobachter und Kontrollinstanz einzunehmen, wirkten sie oft wie ein verlängerter Arm der Politik. Wer Zweifel an den Massnahmen äusserte, wurde nicht als Teil einer demokratischen Debatte wahrgenommen, sondern sofort in eine Ecke gestellt. Begriffe wie „Schwurbler” oder „Covidiot” wurden inflationär verwendet, um Kritik zu diskreditieren. Dadurch wurde eine Polarisierung erzeugt, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt nachhaltig beschädigte. Aus heutiger Sicht zeigt sich zudem, dass viele Massnahmen nicht evidenzbasiert, sondern eher aus politischem Aktionismus heraus ergriffen wurden. Ein Beispiel ist der Appell „Retten Sie Leben, bleiben Sie bitte zu Hause!”. Solche Parolen vernachlässigten die Lebensrealität von Menschen, die auf engem Raum ohne Rückzugsmöglichkeiten ausharren mussten, völlig. Wer, wie die Mitglieder des Bundesrates, in grosszügigen Wohnungen mit Garten lebt, hat kaum ein Gefühl dafür, wie belastend die Situation für eine Familie in einer kleinen Wohnung sein konnte. Hinzu kam, dass das Wetter im Frühling 2020 besonders schön war, wodurch sich der Widerspruch zwischen staatlicher Anweisung und menschlichen Bedürfnissen noch verstärkte. Anstatt eine offene Diskussion über Sinn und Unsinn einzelner Massnahmen zu führen, machten die Medien regelrecht Jagd auf Kritiker. Massnahmen wie Maskenpflicht, Lockdowns oder Impfdruck hätten in einer pluralistischen Gesellschaft unterschiedlich bewertet werden dürfen. Doch wer Gegenargumente vorbrachte, galt schnell als unsolidarisch oder sogar gefährlich. Damit haben die Medien ihre Glaubwürdigkeit als Forum für eine ausgewogene Debatte verloren. Bis heute fehlt eine umfassende Aufarbeitung der Frage, wie es zu dieser engen Nähe zwischen Politik und Medien kam. Die damaligen Entscheidungen wurden nicht kritisch durchleuchtet und der Tonfall der Berichterstattung wurde nicht hinterfragt. Die Folge ist ein massiver Vertrauensverlust in die Medienlandschaft. Viele Menschen haben das Gefühl, dass nicht mehr alle Stimmen gehört werden dürfen. Diese Erfahrung wird lange nachwirken, da sie das Verhältnis zwischen Bürgern, Politik und Medien nachhaltig beschädigt hat. Eine offene Gesellschaft muss Kritik aushalten – auch in Krisenzeiten. Gerade dann ist es Aufgabe der Medien, Vielfalt abzubilden und nicht Konformität zu erzwingen.

Der Ukraine-Krieg und die Einseitigkeit der Berichterstattung

Die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg in den deutschsprachigen Medien ist nahezu ausschliesslich aus westlicher Perspektive geprägt. Eine offene Diskussion über die Ursachen oder die Schuldfrage findet kaum statt. Wer darauf hinweist, dass Russland eigene sicherheitspolitische Interessen verfolgt, wird schnell als „Putin-Versteher“ bezeichnet. Damit wird ein wichtiger Teil der Debatte im Keim erstickt. Anstatt unterschiedliche Sichtweisen abzubilden, übernehmen die Medien meist unhinterfragt die offizielle politische Linie der NATO-Staaten. So wird der Krieg vor allem als imperialistischer Angriff Putins dargestellt, verbunden mit der These, er wolle ein russisches Grossreich wiedererrichten. Dass Russland jedoch auch eigene Begründungen anführt, beispielsweise den Schutz der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine oder die Ablehnung einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, wird kaum erwähnt oder sofort als Propaganda abgetan. Die Möglichkeit, dass es sich um einen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA handeln könnte, wird von vornherein ausgeschlossen. Dadurch wird der Konflikt stark vereinfacht und auf eine moralische Schwarz-Weiss-Logik reduziert. Gerade in einem so komplexen geopolitischen Kontext wäre es jedoch Aufgabe der Medien, alle Argumente auf den Tisch zu legen. Nur so könnten sich Bürger eine fundierte Meinung bilden. Stattdessen wird jede differenzierende Perspektive als gefährlich oder unsolidarisch dargestellt. Kritische Stimmen, die vor einer Eskalation warnen oder Verhandlungen fordern, kommen nur am Rande vor. So verengen die Medien den Diskurs und tragen dazu bei, dass die Gesellschaft gespalten wird. Ein verantwortungsvoller Journalismus müsste die verschiedenen Narrative nebeneinanderstellen und deren Plausibilität prüfen. Doch das geschieht nicht. Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Öffentlichkeit nicht umfassend informiert, sondern einseitig auf Linie gebracht wird.

Fazit

In einer Demokratie kommt den Medien die Rolle der vierten Gewalt zu. Doch dieser Aufgabe werden sie immer weniger gerecht. Anstatt die Politik kritisch zu hinterfragen, übernehmen sie häufig deren Narrative und geben sie ungefiltert weiter. Während der Corona-Pandemie standen viele Redaktionen den Regierungen näher als den Bürgern und stempelten Kritiker schnell als „Schwurbler“ ab. Auch im Ukraine-Krieg ist die Berichterstattung fast ausschliesslich westlich geprägt und lässt kaum differenzierte Sichtweisen zu. Im US-Wahlkampf 2024 konnte man beobachten, wie Kamala Harris innerhalb kürzester Zeit von einer unauffälligen Vizepräsidentin zur medialen Hoffnungsträgerin hochgeschrieben wurde. Hinzu kommt die Praxis des Framings, die durch geschickte Wortwahl Meinungen lenkt und komplexe Sachverhalte in einfache Schwarz-Weiss-Muster presst. Ebenso problematisch ist die Lückenpresse. Denn nicht nur das, was berichtet wird, prägt den öffentlichen Diskurs, sondern auch das, was bewusst ausgelassen wird. So löste der Ukraine-Krieg das Thema Pandemie nahtlos ab – eine kritische Aufarbeitung der damaligen Fehler fand kaum statt.

Für das Publikum bedeutet dies, dass es sich zunehmend aus homogenen Informationsquellen bedienen muss. Viele Menschen sind weder bereit noch in der Lage, sich aus unterschiedlichen Perspektiven zu informieren. Selbst wer es versucht, stösst schnell an Grenzen, da ein medialer Einheitsbrei dominiert und abweichende Stimmen selten zu hören sind. Damit verlieren Medien das, was sie eigentlich auszeichnen sollte: Vielfalt, Unabhängigkeit und kritische Distanz. Das Vertrauen schwindet, weil Bürger zunehmend das Gefühl haben, nicht die volle Wahrheit zu erfahren.

Ein demokratisches Gemeinwesen ist jedoch auf Medien angewiesen, die Missstände aufdecken, Macht kontrollieren und verschiedene Sichtweisen sichtbar machen. Die Rückkehr zu dieser Kernaufgabe ist dringend notwendig. Andernfalls drohen die Medien, endgültig vom Korrektiv der Politik zum Verstärker von Machtinteressen zu werden.

In diesem Beitrag wird nicht gesamte unsägliche Politik der CoViD-19-Pandemie aufgearbeitet. Vielmehr ist es eine kritische Widmung an Bundesrat Alain Berset, der Ende 2023 abtritt. Er war in der Schweiz das Gesicht der Pandemie und musste die Entscheide des Bundesrates zu den CoViD-Massnahmen in die Öffentlichkeit tragen. Damit war er auch der Propaganda-Bundesrat und zuständig für die Erhöhung der Impfquote. Leider war er dabei gegenüber der Bevölkerung nicht immer ehrlich. Heute verstehe ich, dass der französische Präsident Emmanuel Macron in der Rede an die Nation im März 2020 mehrmals davon sprach, dass sie im Krieg seinen. Ist doch die Wahrheit das erste Opfer des Krieges.

Unterschiedliche Länder im Vergleich

Die Nachbarländer der Schweiz haben während der Corona-Pandemie sehr unterschiedliche Massnahmen getroffen. Es ist deshalb interessant, die Wirksamkeit der Massnahmen in den einzelnen Ländern zu vergleichen. Eine aussagekräftige Vergleichsgrösse ist sicherlich die kumulierte Anzahl bestätigter CoViD-19 Todesfälle pro Million Einwohner.
Das Durchschnittsalter der an CoViD-19 Verstorbenen lag in den westlichen Industrieländern bei etwa 80 Jahren. Damit wird deutlich, dass CoViD-19 vor allem eine Gefahr für ältere Menschen war. Für eine noch genauere Aussage dieser Statistik müsste die Altersstruktur berücksichtigt werden, die sich jedoch zwischen den verglichenen Ländern nicht wesentlich unterscheiden dürfte.

  • Es ist nicht überraschend, dass die USA relativ gesehen die meisten CoViD-19-Todesfälle aufweisen. Das weitgehend privatisierte und marktwirtschaftlich orientierte Gesundheitssystem dieses Landes ist, wie vieles andere auch, auf die wohlhabende Bevölkerungsschicht optimiert.
  • Obwohl in Italien ähnlich viele Impfdosen wie in Schweden verimpft wurden, stieg die Zahl der Todesfälle durch CoViD-19 weiter an.
  • Frankreich hatte ähnliche restriktive Massnahmen wie Italien.
  • 4.8 Milliarden Euro hat sich der Corona-Test-Weltmeister Österreich den Unsinn des Testens kosten lassen. Trotz der vielen Massnahmen schneidet es schlechter ab als das während der Pandemie viel kritisierte Schweden.
  • Schweden wählte bei der Bekämpfung der Pandemie einen Laissez-faire-Ansatz. Statt offizieller Verbote setzten die Behörden auf Empfehlungen und Appelle an die Vernunft und die Eigenverantwortung der Menschen.
  • In Deutschland und Österreich wurde eine allgemeine Impfpflicht diskutiert, und in beiden Ländern gab es eine Impfpflicht für die Arbeit in bestimmten Einrichtungen oder für bestimmte Berufsgruppen. In beiden Ländern war zwischenzeitlich das Tragen von FFP2-Masken für die Allgemeinbevölkerung vorgeschrieben, während in der Schweiz meist nur chirurgische oder OP-Masken getragen wurden.
  • SARS-CoV-2 hat einen gesundheitlichen, einen sozialen und einen wirtschaftlichen Aspekt. Die Länder haben diese Aspekte während der Pandemie sehr unterschiedlich gewichtet. Schweden versuchte, das soziale und wirtschaftliche Leben mit möglichst wenigen Vorschriften aufrechtzuerhalten, in der Hoffnung, dass nicht zu viele Bürger dem Virus zum Opfer fallen würden. Die Schweizer Regierung gewichtet die wirtschaftlichen Aspekte wahrscheinlich stärker als ihre Nachbarn, daher die weniger strengen Massnahmen. Andererseits ist die Schweiz keine Insel und viele Grenzgänger aus dem Ausland verrichten sehr wichtige Arbeiten in der Schweiz. Daher konnte die Schweiz ihre Massnahmen nicht völlig losgelöst von den Nachbarländern konzipieren.

Impfstoffe sicher und wirksam?

Im Dezember 2020 erklärte Bundesrat Berset, dass der Impfstoff wirksam und sicher sei und dass er genauso streng getestet worden sei wie jeder andere Impfstoff, bevor er in der Schweiz auf den Markt komme. Diese Aussage war schon ziemlich abenteuerlich:

Quelle: SRF, 19.12.2020 – Alain Berset: «Ein grosser Erfolg – mit einem grossen Aber»

Inzwischen sind einige Verträge aus dieser Zeit mit einzelnen Ländern und Impfstoffherstellern ungeschwärzt an die Öffentlichkeit gelangt. Der folgende übersetzte Text stammt aus dem Vertrag zwischen Pfizer und Südafrika vom 30.03.2021:

Der Käufer erkennt an, dass der Impfstoff und die mit dem Impfstoff verbundenen Materialien sowie deren Komponenten und Bestandteile des Impfstoffs aufgrund der Notlage der Pandemie CoViD-19 schnell entwickelt wurden. Nach der Bereitstellung des Impfstoffes wird dieser im Rahmen dieser Vereinbarung weiter untersucht. Der Käufer erkennt ferner an, dass die langfristigen Auswirkungen und die Wirksamkeit des Impfstoffs derzeit nicht bekannt sind. Es kann zu Nebenwirkungen des Impfstoffs kommen, die derzeit nicht bekannt sind.

Quelle:Health Justice Initiative

Es ist zum Teil verständlich, dass die Regierungen das SARS-CoV-2-Problem aus der Welt impfen wollten. Die wirtschaftlichen Kosten der Pandemie waren extrem hoch und wurden für die Schweiz auf CHF 40 Milliarden geschätzt. Andererseits sollte ein Politiker nicht so dreist sein, einen Impfstoff anzupreisen, dessen Wirksamkeit und Sicherheit nach einem Jahr Entwicklung und Prüfung nicht bekannt sein konnte. Wenigstens waren die Impfstoffhersteller in ihren Verträgen mit den einzelnen Ländern diesbezüglich ehrlicher.

Das „Nutzen-Risiko-Verhältnis“ wurde bei der Impfkampagne des Bundes nicht berücksichtigt. Ein junger Mann hat etwa das gleiche Risiko, im Jahr 2021 mit einer CoViD-Impfung wegen einer Herzmuskelentzündung auf der Intensivstation zu landen, wie mit einer CoViD-19-Impfung. Stattdessen werden junge und gesunde Menschen durch Impfplicht oder G2 direkt bzw. indirekt zur Impfung gezwungen. Hätten die Politiker und die Mainstream-Medien über Nutzen und Risiken dieser Impfung berichtet, wäre dies ein Widerspruch zu ihrer Propaganda von der sicheren und nebenwirkungsfreien Impfung gewesen.

Zertifikatspflicht in der Schweiz

In der Schweiz musste ab dem 13.09.2021 für fast alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen ein CoViD-Zertifikat vorgelegt werden. Bis zum 19.12.2021 konnten alle Bürgerinnen und Bürger noch am öffentlichen Leben teilnehmen. Ab dem 20.12.2021 bis zum 16.02.2022 war der Zugang nur noch geimpften und genesenen Personen möglich. Ungeimpfte Personen, die nicht nachweislich an CoViD erkrankt waren, waren somit für fast zwei Monate von Kultur- und Freizeiteinrichtungen ausgeschlossen. Nachfolgend die fadenscheinige Begründung für das CoViD-Zertifikat durch Berset:

Quelle: SRF, 27.10.2021 – Alain Berset: «Das Covid-Zertifikat ist der Weg aus der Krise»

Die Impfstoffhersteller haben die Übertragbarkeit ihrer Impfstoffe nie untersucht. Mit dem Auftreten der Delta-Variante im Herbst 2021 zeigten die Daten, dass die Impfung die Übertragbarkeit des Virus nicht oder nicht signifikant reduziert. Damit war klar, dass die Impfung aus Solidaritätsgründen nicht empfohlen werden konnte, höchstens zum eigenen Schutz.

Im Januar 2022 wurde die SARS-CoV-2-Variante Omikron in Europa dominant. Die Sterblichkeitsrate der SARS-CoV-2-Variante Omikron ist deutlich niedriger als die der früheren Varianten. Die Sterblichkeitsrate ist ähnlich wie bei einer Grippe, was auch Bundesrat Berset Mitte Januar 2022 anerkannte, jedoch wurden alle Massnahmen erst am 1.04.2022 aufgehoben.

Berset und CoViD-Indiskretionen

Die beiden Tageszeitungen Blick und Tagesanzeiger waren während der CoViD-Pandemie auffallend oft und sehr früh sehr gut über die anstehenden CoViD-Massnahmen informiert. Dabei hat der ehemalige Kommunikationschef von Bundesrat Alain Berset, Peter Lauener, während der CoViD-Pandemie vertrauliche Informationen an den Blick und andere Zeitungen weitergegeben. Dies geht aus einem Bericht der Geschäftsprüfungskommission (GPK) hervor, der im November 2023 veröffentlicht wurde. Gemäss diesem Bericht stand Lauener in regelmässigem Kontakt mit dem CEO des Ringier-Verlags, Marc Walder. In diesen Gesprächen gab Lauener Walder unter anderem Informationen über anstehende Regierungsentscheide, interne Diskussionen und vertrauliche Dokumente weiter. Walder nutzte diese Informationen, um in seinen Zeitungen exklusive Artikel zu veröffentlichen. Die Weitergabe von vertraulichen Informationen an die Medien ist in der Schweiz verboten. Die Anzahl und zum Teil auch die Art der Indiskretionen, insbesondere aus Bundesratssitzungen, hätten zu einem grossen Vertrauensverlust innerhalb des Bundesrates geführt, heisst es in einer Medienmitteilung der GPK.

Fazit

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie wurden einige Videos aus Wuhan im Fernsehen gezeigt. Diese Veröffentlichungen haben die Bevölkerung sehr verängstigt. Ganze Strassenzüge wurden mit Chlorlösungen besprüht oder öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und U-Bahnen desinfiziert. Mit den Bildern aus Bergamo im März 2020 wurde allen bewusst, dass die Pandemie in Europa angekommen war. Sie zeigten unter anderem Leichentransporte mit Militärkonvois, ein kollabierendes Gesundheitssystem, leere Strassen und die Absperrung einer ganzen Region. Die beängstigten Einwohner der Industriestaaten waren somit konditioniert für den ersten Lockdown ab Mitte des März 2020.

Die Schweizer Bevölkerung litt weniger unter den CoViD-19-Massnahmenpaketen ihrer Regierung als jene der Nachbarländer. Allerdings waren die meisten Massnahmen nicht evidenzbasiert und wurden auf der Grundlage von Modellstudien eingeführt. Zum Beispiel glaube ich nicht, dass Masken die Ausbreitung einer Atemwegsinfektion verhindern können. Es gibt bis heute auch keine belastbare Studie, die den Nutzen des Maskentragens belegt.

Die viel propagierte Impfung ist bei weitem nicht das versprochene Wundermittel. Letztlich war es die sich effizient verbreitende Omikron-Variante, die für eine natürliche Durchimmunisierung der Bevölkerung sorgte.

Wir sind von der Politik mehrfach und nachweislich belogen worden, Bundesrat Berset ist nur ein Beispiel von vielen. Andererseits ist es der Bevölkerung wohl egal, dass wir schon vor der offiziellen Bekanntgabe der Massnahmenpakete wussten, was der Bundesrat beschlossen hat oder beschliessen wird.

Wie im Beitrag „Direkte Demokratie und Drohung von Arbeitsplatzverlust“ beschrieben, werden die meisten Abstimmungskampagnen mit der Drohung von Arbeitsplatzabbau geführt. Hierzu werden öfters die schweizerischen Arbeitslosenzahlen im Vergleich mit dem internationalen Umfeld herangezogen. Die dabei von den Politikern und oft vom Bundesrat erwähnte Arbeitslosenquote von 3% und etwas höher ist Selbsttäuschung. Es stellt sich natürlich die Frage, warum argumentieren viele Politiker mit dieser zweifelhaften „tiefen“ Arbeitslosenquote. Wahrscheinlich ist es der Versuch, den Status quo im wirtschaftspolitischen Abstimmungskampf zu propagieren bzw. die Bevölkerung in Richtung voll durchökonomisierte Gesellschaft zu bewegen.

Erwerbslosenquote ILO und die Arbeitslosenzahlen SECO

In der Schweiz werden zwei Statistiken zu Arbeitslosigkeit bzw. Erwerbslosenquote veröffentlicht. In der öffentlichen Debatte werden meistens die von der SECO monatlich veröffentlichten Arbeitslosenzahlen angeführt. Im März 2016 lag die schweizerische Arbeitslosenquote bei 3.6 %. Dagegen war die Erwerbslosenquote 5.1 % im 1. Quartal 2016.

SECO_ILO_2010_2016q1

Die Statistik der SECO erfasst nur Personen, die bei den regionalen Arbeitsvermittlungsämtern (RAV) als arbeitslos registriert sind. Dabei ist es unerheblich, ob die Person eine Arbeitslosenentschädigung erhält oder nicht, beispielsweise werden die Ausgesteuerten nicht berücksichtigt.


Quelle: SRF, Echo der Zeit vom 9.01.2015 – Weniger Arbeitslose dank der «Ausgesteuerten»

Letztendlich enthält diese Statistik Ungenauigkeiten sowohl im Zähler wie auch im Nenner. Im Zähler, da nicht alle Arbeitslosen beim RAV registriert sind und im Nenner, weil die Zahl der Erwerbspersonen möglicherweise unterschätzt wird.

Die Erwerbslosenquote gemäss ILO wird vierteljährlich durch das Bundesamt für Statistik (BFS) veröffentlicht. Die Quote basiert auf der Arbeitskräfteerhebung (SAKE) und wird mittels Telefoninterviews und Hochrechnung bei der schweizerischen und ausländischen ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz erhoben. Natürlich ist diese Stichprobe nicht frei von Fehlern, jedoch für den internationalen Vergleich weitaus besser geeignet als die Statistik aus dem SECO.

Bundesräte und ihre Selbsttäuschung

Im Folgenden sind zwei Beispiele, in denen der Bundesrat bewusst oder unbewusst der Selbsttäuschung bezüglich der Arbeitslosenquote unterliegt.

Untaugliche Argumentation von Bundesrätin Sommaruga

In den folgenden zwei Sequenzen aus der Abstimmungs-Arena zu Ecopop-Initiative argumentiert Bundesrätin Sommaruga mit der „sensationellen“ Arbeitslosenquote von 3%. Zudem verwechselt sie die Kausalität mit der Korrelation, indem sie die angeblich tiefe Arbeitslosenquote mit der hohen Zuwanderung begründet:


Quelle: SRF, Abstimmungs-Arena vom 31.10.2014: Ecopop-Initiative – Bundesrätin Simonetta Sommaruga

Glücklicherweise korrigiert Reiner Eichenberger die Aussagen von Sommaruga, zudem verweist er indirekt auf die Erwerbslosenquote gemäss ILO:


Quelle: SRF, Abstimmungs-Arena vom 31.10.2014: Ecopop-Initiative – Reiner Eichenberger

Die Anmassung von Schneider-Ammann

Bundesrat Schneider-Ammann fühlt sich berufen, den europäischen Ländern wirtschaftspolitische Ratschläge zu erteilen:


Quelle: SRF, Samstagsrundschau vom 6.12.2014 – Wirtschaftsminister Schneider-Ammann nach dem Ecopop-Nein

Wie üblich leiert er mit Schachtelsätzen seine Propaganda für die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik herunter. Aufgrund seiner Selbsttäuschung spricht Schneider-Amman von einer quasi Vollbeschäftigung in der Schweiz.

Obwohl auch die internationale standardisierte Erwerbslosenquote grosse Verzerrungen aufweist. Gibt es heute wenige Länder in Europa mit einer ähnlichen Erwerbslosenquote wie die Schweiz.

Erwerbslosenquote Q1/2016

Hat die Schweiz Vollbeschäftigung?

Eine exakte Ermittlung der Arbeitslosenquote ist offensichtlich nicht möglich. Daher ist die Aussage einer quasi vollbeschäftigten Schweiz ziemlich gewagt. Vom Wirtschaftsminister Schneider-Ammann sind in diesem Artikel drei Mitschnitte aus den Jahren 2012, 2014 und 2016. Jedes Mal sprach er von Vollbeschäftigung.


Quelle: SRF, Tagesschau vom 4.06.2012 – Schneider-Ammann: Keine Alternative zu Untergrenze

Auch neulich bei der Vorlage für längere Ladenöffnungszeiten argumentiert der Wirtschaftsminister mit der angeblichen Vollbeschäftigung.


Quelle: Radio SRF vom 6.06.2016 – Schneider-Ammann: Längere Ladenöffnungszeiten sind kein Thema mehr

Dem kann entgehen gehalten werden, dass beispielsweise im 1. Quartal 2016 die Jugenderwerbslosenquote bei 8.3% lag, für mich definiert sich Vollbeschäftigung anders. Boris Zürcher, Chef der Direktion für Arbeit beim SECO sprach anfangs 2014 von einer fast Vollbeschäftigung.


Quelle: SRF, Tagesgespräch vom 10.01.2014 – Boris Zürcher zur Angst vor Arbeitslosigkeit

Wie von Boris Zürcher erwähnt, gibt es eine gewisse Sockelarbeitslosigkeit dies sich aus der friktionellen und strukturellen Arbeitslosigkeit ergibt. Die Arbeitslosigkeit ist Konjunktur unabhängig, trotzdem kann diese Arbeitslosigkeit mit Gegenmassnahmen wie beispielsweise verbesserte Arbeitsvermittlung oder Umschulungen reduziert werden.

Keine Vollbeschäftigung sagt die Gewerkschaft

Der Gewerkschaftsökonom Daniel Lampart argumentiert natürlich mit der Erwerbslosenquote gemäss ILO. Mit der höheren Prozentzahl fordert er staatliche Interventionen für die Senkung der Arbeitslosigkeit.

Nachdem seit der Abstimmung zur SVP-Einwanderungsinitiative über Arbeitskräftemangel debattiert wurde und jedes Jahr Zehntausende aus dem Ausland in der Schweiz einen Arbeitsplatz fanden, reden plötzlich alle von drohender Arbeitslosigkeit. Welches Problem haben wir denn jetzt?
Wir haben so viele Erwerbslose wie noch nie. Die Erwerbslosenquote liegt bei 4,7 Prozent. Wir nähern uns den 5 Prozent von Deutschland und Österreich an. Die Schweiz braucht Vollbeschäftigung. Es ist unglaublich, dass Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann bei der heutigen Erwerbslosenquote behauptet, es herrsche Vollbeschäftigung.
Quelle: Interview mit Daniel Lampart – «Ein fairer Kurs liegt klar über 1.30 Franken»

Fazit

In der Schweiz haben wir zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden für die Arbeitslosenzahlen. Die Bundesräte haben ein Interesse daran, mit einer möglichst tiefen Arbeitslosenquote zu argumentieren. Jedenfalls bin ich noch nie einem Statement eines Bundesrates mit dem Verweis auf die ILO Erwerbslosenquote begegnet. Diese Illusion der „niedrigen“ Arbeitslosenquote ist hilfreich beim Regieren und im Abstimmungskampf zu wirtschaftlichen Themen.

Ich finde es unredlich, wenn mit einer konzeptionell fraglichen Statistik Politik gemacht wird. Zudem wiegt man sich mit dieser im internationalen Vergleich tiefen Arbeitslosenquote in falscher Sicherheit. Bei internationalen Vergleichen sollte möglichst die für diese Vergleichbarkeit konzipierte Statistik der Erwerbslosenquote gemäss ILO verwendet werden.

Die mediale Präsenz der digitalen Evolution ist seit circa eineinhalb Jahren gewaltig. Teilweise werden die Möglichkeiten des kommenden „Maschinenzeitalters“ ziemlich überschätzt, siehe dazu „Medialer Hype um digitale Evolution„. Daher vermeide ich den populären Begriff digitale Revolution.

Leider löst die momentane Berichterstattung über die digitale Evolution bei den meisten Menschen negative Gefühle aus. Mit Schlagzeilen wie „Die Jobkiller kommen“ wird der Fortschritt der Digitalisierung als Bedrohung der eigenen Lebensgrundlage wiedergegeben. Kommuniziert wird, dass die digitale Maschine uns die Arbeit wegnimmt; stattdessen kann sie uns von der Arbeit befreien.

Mehr Freizeit dafür weniger Stress

Viele Erwerbstätige optimieren ihren Job danach, sich für ihr Unternehmen unentbehrlich zu machen. Leider oftmals im negativen Sinn, gerade in mittleren und grossen Unternehmen generiert dies riesige Bürokratien die sich und andere mit unproduktivem und unnötigem Zeugs beschäftigen. Dies ist der Produktivität hinderlich und produziert oftmals unnötigen Stress und stiehlt den Menschen wertvolle Zeit.

Viele Menschen leiden heute unter ständiger Erreichbarkeit und Überstunden. Angestellte erledigen noch nach Feierabend geschäftliche E-Mails oder sind in den Ferien erreichbar. In Europa gelingt den Menschen den Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben immer weniger.

Instandhaltung mit Wellness-Wochenende und Sabbatical

Der Instandhaltungspflicht an der eigenen Seele und Körper wird an einem verlängerten Wochenende in einer Wellness-Oase genüge getan. Wer es sich leisten kann, gönnt sich ein mehrmonatiges Sabbatical. Wobei es für viele ein unbezahlter Urlaub bedeutet. Jedenfalls entwickelt sich das Sabbatical zu einem Trend:

Google Trends Sabbatical
Quelle: Google Trens – Sabbatical

Nach einem mehrmonatigen unbezahlten Urlaub könnte einem die alte Tretmühle schneller wieder vereinnahmen als erhofft. Nach der Auszeit ist die Bürokratie und der Alltag wahrscheinlich derselbe und damit die „getankte Energie“ gefährdet.

Schweizer sind fleissig und nicht sehr produktiv

Ich bin grundsätzlich der Meinung, je weniger Zeitaufwand desto produktiver insbesondere für sehr kopflastige oder körperlich anstrengende Arbeiten. Natürlich sollte dabei je nach Persönlichkeit und Tätigkeit ein bestimmtes Minimum an Arbeitsstunden nicht unterschritten werden. Wenig tangiert von dieser Aussage sind Aktivitäten, bei denen die Maschine das Arbeitstempo vorgibt oder für durchorganisierte Tätigkeiten.

Die Schweiz platziert sich in vielen Ranglisten von ökonomischen Vergleichen der Volkswirtschaften in den obersten Rängen. Jedoch fällt sie bei der Arbeitsproduktivität zurück. Diese berechnet sich nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) geteilt durch die geleisteten Erwerbsarbeitsstunden.

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